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Zuerst wollte ich wissen: was hat mehr Gewalt - die verzerrte Gitarre oder das gesprochene Wort?
"Ich denke, beides wiegt sich gut auf. Es obliegt dem Musikkritiker, das zu beurteilen. Wenn Du mir die Frage stellen würdest, würde ich sagen, es hält sich das Gleichgewicht, zumal wir auch beabsichtigt haben, die Härte anzuziehen." Noch bevor ich die Frage nach der Gitarrenlastigkeit ganz aussprechen kann, überfällt mich schon der nächste Wortschwall. "Um das vorweg zu nehmen, wir hatten eine Umbesetzung im Gitarrenbereich. Unser alter Gitarrist (Thomas der Münzer - Verf.) ist erkrankt und die Klampfen wurden schon vom neuen eingespielt (Der Lange - Verf.) und der ist auch viel versierter. Der macht zu einem Arrangement gleich 6 oder 7 verschiedene Versionen ohne gleich im Vordergrund zu stehen. Wenn wir uns eine Rock oder Metal Band mit Mittelaltereinflüssen nennen, dann sollte schon eine Gitarre zu hören sein."
Zu Anfang war es eher umgekehrt. IN EXTREMO sind mittlerweile eine metallische Band geworden und die "Mittelalterelemente" dienen eher als ausschmückendes Beiwerk.
"Das sollte auch so sein, dass Du zeitgenössische Musik spielst. Wenn Du eine breitere Schicht erreichen willst, bist Du auch gezwungen "zeitgenössischer" zu musizieren. Das trifft genauso aufs Programming und Sampling zu, da sind wir auch mutiger geworden."
Du hast das Wort "gezwungen" verwendet. War ein gewisser Druck von außen spürbar?
"Das wollten wir selber", rattert mein Gesprächspartner wieder los, "zumal wir für die Produktion richtig viel Zeit hatten und es stand für uns auch zur Debatte, dass wir eine breitere Menge erreichen. Da haben wir einfach mal so gemacht, wie wir dachten."
Diese Entwicklung erinnert mich entfernt an Subway To Sally, die sich von einer Folk-orientierten zu einer riffbetonten Band entwickelten. Darf man "Sünder ohne Zügel" quasi als Euer "Hochzeit" sehen, das in puncto Härte einen Höhepunkt markiert?
"Das sind Zukunftszeichen!? Es ist einfach verfrüht, mir so eine Frage zu stellen", zeigt er sich nicht gerade happy, "eidieweil man ja gar nicht weiß, was die Zukunft bringt. Für uns ist erst mal die Veröffentlichung wichtig und da bleibt abzuwarten, wie die Leute die CD aufnehmen. Mit der letzten Platte, "Verehrt und angespien" haben wir etwas geleistet, was nicht mal Subway To Sally geschafft haben, nämlich wir sind auf Platz 9 der Media Control-Charts eingestiegen und sie nur auf Platz 11. Von daher war das eine gute Voraussetzung und wir sind gespannt, was herauskommt. Ich würde es auf keinen Fall so sehen, dass das eine "Hochzeit" ist. Das hört sich so an, als ob danach der abfallende Ast kommt."
Ich hatte es bei der angesprochenen Band eher als Zurückstecken angesehen, da man über die eigene Härte erschrocken war. Mit dieser Interpretation hat Py weniger Probleme. Und wir wollen ja nicht streiten.
Was man auch nicht bestreiten kann, ist, dass der Hitfaktor wesentlich höher als bei der letzten Scheibe ist. Die Songs sind fließender, wirken wie für die Bühne geschrieben und sind von überflüssigem Ballast befreit.
"Da spielt auch der temporäre Faktor bei der Produktion mit rein. Ich weiß nicht, ob Du die ersten beiden Scheiben auch verfolgt hast. Das sind Werke gewesen, die irgendwo zwischen Tür und Angel entstanden sind. Am Wochenende waren wir am Songs stricken und Montag sind wir ins Studio, nach dem Motto "jetzt machen wir mal eben eine neue LP". Das kann funktionieren, und hat - aber es war für uns sehr stressig. Du bist danach einfach ausgepumpt. Bei dieser Produktion war das viel besser, und so erklärt sich das. Wir hatten ein halbes Jahr Zeit dafür, konnten eine Vorproduktion machen und da war die Zeit, auch mal an Gesangslinien zu arbeiten. Das ist für mich als Mitmusiker qualitativ zu hören, dass eine Menge Zeit drin steckt. Spontan soll es auch sein. Wir sind keine komplizierten Frickler. Ich habe das Motto "individualistische Musik schafft individualistisches Publikum" und ich denke, diesen Anspruch haben wir auch."
Habt Ihr die richtige Schablone fürs Songwriting gefunden oder kommen die Ideen nach wie vor aus dem Bauch heraus?
"Die kommen schon noch aus dem Bauch, aber wenn Du solche Produktionen machst, kommst Du um eine bestimmte Arbeitsweise nicht herum. Im Studio bist Du nämlich ganz schnell geneigt, den 3. Schritt vor dem ersten zu machen und da kommt nur Scheiße bei raus, oder zumindest viele Oberflächlichkeiten, die nicht sein müssen."
Es soll ein Rädchen ins andere greifen. Das gilt für Texte wie Musik. Erstere sind wieder eine Mischung aus eigenen und fremden, die bearbeitet wurden und wieder eine enorme Bandbreite offerieren. Von der "Carmina burana" über den Schriftsteller Villon bis hin zu Goethe. Welche Texte sind für Euch wichtiger? Die eigenen, die fremden, oder sind beide gleich bedeutsam?
"Beide sind gleich wichtig, zumal wir auch versuchen, die Basis zu lassen. Wir sind eine Band, die sich weder über englische noch deutsche Texte allein definiert. Wir wollen zeigen, dass auch andere Sprachen, die vielleicht gar nicht mehr gesprochen werden, wie Alt-Schwedisch oder Alt-Französisch, was richtig Rhythmisches haben, eine eigene Vibration, wie zum Beispiel bei "Krumma Visur". Wenn Du den puren Text vor Dir liegen siehst, dann glaubst Du, dass Du nicht mal nach 3 Bieren in der Lage bist, daraus Musik zu machen. Wir finden das auch faszinierend, damit zu spielen."
Sind es auch die fremd anmutenden und teilweise verwirrenden Geschichten dahinter, die sich aus der Kultur der Sprache und des Volkes ergeben, die Euch gefallen? Gerade im skandinavischen Bereich gibt es sehr viele tieftraurige und heftige Balladen.
"Ich glaube, damit schaffen wir eine eigene Ausdrucksform. Wenn Du zu einem IN EXTREMO-Konzert gehst, dann verstehst Du die hochdeutschen Sachen, die anderen erstmal nicht. Wenn Dich das dann interessiert, kannst Du Dir das Booklet nehmen, es durchlesen und Dir Deinen eigenen Reim drauf machen. Letztendlich werden die Aussagen aber immer undogmatisch und unpolitisch sein, wir werden nie was vorschreiben oder eingrenzen."
Für die Band sei es wichtig, dem Zuhörer Raum für eigene Gedanken zu lassen, damit er die Möglichkeit zu einer gewissen Realitätsflucht hat. Gerade durch die Medien werde man häufig belogen, da solle eine Art Gegenpol geschaffen werden. Jeder solle seine Fantasie walten lassen, dies passe zur Mittelalter-Thematik. Raum für eigene Interpretationen bleibt, das merke ich bei der Frage nach dem für mich besten und intensivsten Song "Über den Wolken". Hinter dem an sich harmlosen Titel verbirgt sich eine tragische Geschichte - Liebe über den Tod hinaus. Und damit Rache mit Mordlust verbunden? Hier liege ich aber falsch.
"Es ist schon so, dass der Sänger mit dem Tod abrechnet, aber er hat seinen Vater verloren. Natürlich kann man es auch so sehen, dass eine die Frau genommen wird, der Song läßt halt vieles offen. Es muß auch nicht die Frau sein, sondern ein Mensch, den Du liebst."
Liebe über den Tod hinaus steht in diesem Song im Vordergrund, nicht die Rache. Heute ist man ja schnell dabei, Gewaltverherrlichung aus einem Text herauszulesen. Das liegt aber überhaupt nicht im Sinn der Band.
"IN EXTREMO hat im Innersten, obwohl wir das nicht vordergründig publizieren, einen humanistischen Standpunkt. Wir haben einfach keinen Bock auf so einen Gewalt-Scheiß" tönt es nachdrücklich aus dem Hörer, "mit Blut und Patronengurten oder Körper aufsägen und solchem Schwachsinn" outet er sich nicht gerade als Anhänger von Six Feet Under.
Die Band hat da eine klare Linie, von der nicht abgewichen werde. Er werde auch oft auf diese Thematik angesprochen, wie er hörbar angenervt erzählt. Gerade am heutigen Interviewtag sei er erst auf Parallelen zu Rammstein angesprochen und sogar auf Bezugspunkte zum Black Metal. Dabei stellte sich dann heraus, dass der Betreffende weder die Scheibe gehört hatte, geschweige denn die Band kannte.
Könntest Du, oder einer aus der Band, jemand töten, der Deine Frau umbringt oder einen Menschen, der Dir nahesteht ?
"Ich kann hier nicht für die anderen sprechen, nur für mich. Ich weiß, wenn jemand meine Tochter anfaßt, würde ich nicht ruhen, bis er ausgestreckt vor meinen Füßen liegt. Das hat aber absolut nichts mit Gewaltverherrlichung zu tun", stellt er ausdrücklich klar. Derzeit herrscht bei uns eine heftige Diskussion über verschärfte Strafen für Kinderschänder und jeder bejaht "wegsperra" oder "aufhänga" (wurde dialektgefärbt gefragt - Verf.).
Siehst Du das auch so oder würdest Du die Seite des Täters ebenfalls ausleuchten?
"Was heißt schon "wegsperra" oder "aufhänga"? Ich bin kein sadistischer Mensch, und ich denke, es gibt in der Natur klare Gesetze. Es gibt Richtlinien gegen bestimmte Verstöße und man hat sein Recht auf Leben verwirkt, das kann ich nachvollziehen. Ein Wolf wird weggebissen aus dem Rudel. Wir müssen uns jetzt nicht über Politik unterhalten. Es gibt furchtbare Menschen und ich verstehe nicht, warum man sich über die noch psychologisch auseinandersetzen muß, Gutachten erstellt oder Geld für Therapien ausgibt."
Ist Kindermißbrauch eine Zivilisationskrankheit der Gegenwart? Angeblich war man auch im Mittelalter in dem Bereich nicht zimperlich und hat kleine Mädchen mehr oder weniger "legal" gegen ihren Willen verheiratet und damit dem körperlichen Mißbrauch preisgegeben.
"Das ist meiner Meinung nach heute mehr eine publizistische Sache der Politiker. Jeder hat eine kluge Version dazu an der Hand. Für mich gehört das nicht ins Leben. Ich kann sowas echt nicht nachvollziehen", spricht er mir aus der Seele.
Du wirkst sehr engagiert und triffst klare Aussagen. Nerven Dich Charakterisierungen oder gar Schubladen für IN EXTREMO?
"Was ist denn IN EXTREMO? Eine lebensfroher, lustiger Haufen, zwischen dem sehr viel Freundschaft besteht. Es ist nicht das Geschäft, das uns zusammenhält, sondern es ist weitaus mehr darüber hinaus", beschreibt er ein Gefühl, das auch meine Redaktionskollegen so bejahen würden. "Als Band können wir für uns einen guten Standpunkt vertreten, weil wir auf der Bühne und generell Lebensfreude rüberbringen und nicht irgendwelche Gewalt verherrlichen wollen. Das sind unsere Ansprüche und eben immer wieder der Bezug zum Mittelalter. Das war zwar auch nicht immer die rosigste Zeit, aber es gab eine Menge Geschichten, Mythen und Visionen."
In der Zeit hatten besonders die fahrenden Sänger, und unter diese Definition kann man Euch stellen, die Möglichkeit, neben der notwendigen Unterhaltung auch eine Prise Kritik am System und den Umständen einzubringen.
"Ja, der Spielmann war im Prinzip das Medium, was heute Zeitung oder Fernsehen ist. Ich will zwar nicht alles verteufeln, aber schalt doch mal den Fernseher ein... was kannst Du denn schon davon gebrauchen?" Schlimm, schlimm.
By the way - was war die für Dich beste/grausamste Definition, die Euch bis heute ereilte?
"Das Schlimmste heute war auf jeden Fall dieser Neonazi-Scheiß", stellt er unverblümt fest, "das ist mir ziemlich auf den Sack gegangen. Das ist ja wohl das Allerletzte was man uns unterstellen kann. Weder textlich noch äußerlich oder im Auftreten. Das ist für mich nur dumm."
Das Erfüllendste ist für den gesprächigen Musiker, wenn er merkt, dass die Band beim Publikum ankommt. Mit meiner Definition "IN EXTREMO wollen den Geist der Vergangenheit mit den Mitteln der Gegenwart in die Zukunft transportieren" kann er leben. Dass das "Mittelalter-Ding" mittlerweile ausgereizt ist, will er für die Band aber nicht gelten lassen. Das Öffnen für moderne Elemente, wie eingangs angesprochen, bedeutet für ihn keinesfalls einen Ausstieg aus dem Thema "Mittelalter", wie er mehrmals betont. IN EXTREMO hat übrigens absolut nichts mit "extrem" zu tun, wie ich auf meine Frage zur Antwort bekomme.
"Es ist lateinisch und bedeutet in etwa "zuguterletzt", "in Vollendung". Wobei der Wortteil "extrem" aber auch sehr markant sein kann, um mit der Band aufzufallen. Wer von uns Latein spricht? So richtig fließend niemand, wir befassen uns halt damit bei Übersetzungen. Wir sprechen gängige Sprachen, Englisch und ansatzweise Französisch, das war's dann. Es ist auch kein besonderes Hobby, sich mit Sprachen auseinanderzusetzen."
Was bewunderst Du an den Menschen damals und heute?
"Damals waren sie vielleicht viel unkomplizierter, heute gibt's mehr Bürokratismus und alles ist verworrener, elektronischer. Damals war auch mehr Bezug zur Natur, obwohl die Zeit auch härter und grausamer war. An den Menschen heute bewundere ich die Fähigkeit, überhaupt noch von der Natur sprechen zu können. Alle reden davon, aber keiner will was dafür tun."
Die Zeit, dass sich IN EXTREMO bei einer Umweltschutzorganisation beteiligen, wird aber wohl nicht sein, kommt es wie aus der Pistole geschossen auf eine entsprechende Bemerkung. Dafür wird "Sünder ohne Zügel" schon sorgen.
Oliver Vollmer