http://www.the-gothicworld.de/cdreviews/08-2001/inextremo-interview.htm
Zwei Jahre nach "Verehrt und angespien" melden sich auch die rockenden Barden von In Extremo wieder auf der musikalischen Bildfläche zurück. "Sünder ohne Zügel" heißt das neue Album, und ganz so sündig, wie uns der Albumtitel vorzugaukeln sucht, präsentieren sich In Extremo anno 2001 nicht. Eher schon zügellos, denn das Songwriting zum neuen Album hat durch die Integration des neuen Gitarristen Basti eine neue, beinahe schon New Metal-lastige Komponente hinzugewonnen, ohne jedoch die traditionell mittelalterlichen Einflüße zu verleugnen. Entgegen den Befürchtungen, die Mittelalterszene hätte ihren musikalische Zenith bereits längst überschritten, beweisen In Extremo erneut, daß Innovation in diesem scheinbar eng gesteckten Genre durchaus denkbar und machbar ist, ganz zu schweigen von der Anerkennung, die Bands wie Tanzwut oder eben auch In Extremo mittlerweile auch aus dem Ausland erfahren.
In wieweit In Extremo und die Musiker der Band mittlerweile in der Tat ein zügelloses Leben führen, galt es bei einem Interviewtermin in Dortmund mit Sänger "Das letzte Einhorn" (Micha), Dudelsackspieler "Yellow Pfeiffer" (Boris) und dem neuen Gitarristen "Der Lange" (Basti) zu ergründen.
Micha: >> Zügellos heißt jetzt, nicht erst morgens um acht eine zu rauchen, sondern schon um sechs (lacht). Nee, wir haben gedacht, wir brauchen einen Namen für die Platte. Wir haben zusammen gestanden und ich habe irgendwas in die Runde geworfen, und auf einmal sagt Kai: "Sünder ohne Zügel". Wir gucken uns alle an, "ja, das ist gut", und das war's."
Basti: >> Wir haben es im Text der Lebensbeichte und es spielt auch so ein wenig auf den Bandnamen In Extremo an. Wenn du uns auf der Bühne siehst, dann lassen wir uns auch gehen und dann paßt das schon. <<
Micha: >> Das paßt auch im Zyklus der Alben, "Weckt die Toten", "Verehrt und angespien", Sünder ohne Zügel". Das ist spielmännisch, hat einen gewissen Reiz vom Mittelalter und es hat etwas Neuzeitliches. Es hat mit Liebe und Sex zu tun. <<
"Verehrt und angespien" ist mittlerweile zwei Jahre alt und war ein Riesenerfolg. Hat dieser Erfolg eure Arbeitsweise verändert und habt ihr einen Druck verspürt, diesen Erfolg wiederholen zu müssen?
Micha: >>Bei der dritten Platte sagt jeder, "oh, jetzt sind wir mal gespannt, jetzt kommt die dritte Platte". Einen gewissen Druck hat jeder in sich, das ist klar. Wer das nicht hat, der lügt. <<
Boris: >> Das zu leugnen wäre Schwachsinn. Wir sind ja auch ehrgeizig und dementsprechend. <<
Micha wohnt am Niederrhein, der Rest In Extremo's in Berlin. Gestaltet sich eine kontinuierliche Zusammenarbeit und regelmäßiges Proben da nicht extrem schwierig?
Micha: >> Die letzten beide Male bin ich von Köln nach Berlin getrampt, weil ich Bahn fahren hasse. Mit der Mitfahrzentrale hat es nicht mehr geklappt, im Flieger habe ich keinen Platz mehr bekommen., also habe ich mich an die Straße gestellt und bin getrampt. Das ist schon lustig und macht auch Spaß. Ich pendle also hin und her. Wir machen dann meistens eine Probewoche oder Probetage. Ansonsten bin ich die restliche Zeit in Köln. Wir telefonieren natürlich jeden Tag. <<
Bei Mittelalterbands setzt man immer wieder voraus, sich in ihren Texten weder zu politischen noch zu sozialen Themen zu äußern. Gibt es selbstgewählte Grenzen im Hinblick auf die Texte der Band?
Micha: >> Na klar gibt's die. Guck dich mal in der Weltpolitik um. Wir sind eigentlich sehr unpolitisch. Bei uns gibt es keine weltpolitischen Statements, oder so etwas. Wir würden niemals eine Verherrlichung von Krieg oder Gewalt machen. Das gibt es schon genug und so etwas kommt bei uns auch nicht in die Tüte. <<
Sicherlich aber zeitlose Themen oder Themen, die das rauhe Leben im Mittelalter oder harte Zeiten generell prägend charakterisieren.
Basti: >> Härte hörst du bei uns auch immer wieder raus. Aber es ist ja ein Unterschied, ob jemand ungerechter Weise geköpft wird oder ob man Gewalt verherrlicht, indem man sagt "wir haben Spaß daran". Das ist ein großer Unterschied. <<
Micha: >> Es gibt genug Bands, die sich drei Liter Blut ins Gesicht schmieren und dann rumtoben. Das sind junge Welpen. Laß die sich ruhig austoben, aus diesem Alter sind wir mittlerweile raus. <<
Mit solchen Bands habt ihr letztes Jahr in Wacken ja auch schon gespielt.
Micha: >> Ja, Wacken ist immer wieder lustig, und vor allem lustig anzusehen. Leider haben wir dieses Jahr nicht dort gespielt. <<
Ist die Metal-Szene und das Publikum eine Szene, in der ihr euch wohl fühlt und mit der ihr euch identifizieren könnt?
Micha: >> Das kannst du gar nicht mehr unterscheiden. Wenn du ein Festival spielst, bei dem wie in Wacken zwanzig- oder fünfundzwanzigtausend Leute vor dir stehen und das Feedback kommt zurück, dann ist das egal, ob das ein "Heavy Metal-Krieg" ist. <<
Wobei ihr ja immer noch sehr viele unterschiedliche Shows spielt. Mittelaltermärkte, Festivalshows, Headliner- und Supportgigs, und immer wieder erreicht ihr ein anderes Publikum. Ob es nun Metaller, Gothen oder Besucher von Mittelaltermärkten sind. Gibt es für euch Unterschiede hinsichtlich des Publikums?
Basti: >> Du merkst den Leuten schon Festivallaune an. Wenn das Wetter schlecht ist, können die Leute anders drauf sein, aber so generell gibt es keine Unterschiede. <<
Micha: >> Wir haben bisher immer Glück gehabt. Auch im Ausland, das war immer gnadenlos und wirklich gut. Das Wenigste, was wir mal hatten, waren hundert Leute in Dänemark. Selbst in Amerika haben wir immer vier-/fünfhundert Leute gehabt. Mexiko war sowieso unter ferner liefen und auch die ganzen restlichen "Europadinger" waren supergut. Holland, oder auch Luxemburg war echt klasse. <<
Basti: >> Roskilde hat's dann in Dänemark aber wieder rausgerissen. <<
Micha: >> Das Zelt war überdermaßen voll, auch noch weit nach draußen, so daß die Wände hochgerollt wurden. Das war dieses tragische Festival aus dem letzten Jahr, wo wir dann direkt nach Pearl Jam aufgetreten sind. The Cure hatten abgesagt, die Bühne wurde gesperrt und die anderen Veranstaltungen haben sie weiter laufen lassen. Wir hatten so einen Klos im Hals und wollten gar nicht spielen. Im Nachhinein sage ich mir, daß es richtig war, daß wir gespielt haben. Die Leute, die diesen Unfall miterlebt haben, das waren nur die im Umkreis von zwanzig bis vierzig Meter um diese Stelle. Der Rest hat das gar nicht begriffen. Wenn dann das Festival dicht gemacht wird, dann fackeln die ganzen Wikinger da oben nicht lange. Mir hat das Konzert allerdings wirklich keinen Spaß gemacht, obwohl wir das souverän über die Bühne gebracht haben. Der Veranstalter und das Publikum waren richtig dankbar. Das haben wir dann später mitgekriegt. <<
Ihr habt auf der letzten Tour Headlinershows in den USA gespielt, was selbst für solch eine weitgereiste Band wie In Extremo eine neue Erfahrung gewesen sein muß. Habt ihr euch in diesem Zusammenhang als eine Art Kulturbotschafter gesehen, ähnlich wie die Neubauten, die früher musikalisch belächelt, heute als Exportschlager in Sachen zeitgenössischer populärer Musik aus Deutschland weltweit vorgezeigt und herumgereicht werden?
Micha: >> Als Botschafter siehst du dich da nicht. Mir persönlich geht es so, daß ich, wenn ich in ein anderes Land komme, sehr gespannt bin. Wieviel Leute kommen heute? Zwei, drei, fünf, zehn? Plötzlich spielst du als Headliner im "Whisky-A-Go-Go" vor fünfhundert Leuten und sprichst mit Leuten, die mit Deutschlandfahnen wehen und In Extremo-Texte mitsingen. Verrückt, einfach verrückt. Aber ich denke schon, daß viele das so auffassen. <<
Boris: >> Ich denke, die Menschen in Amerika haben da schon einen gewissen Durst nach. Ich glaube, daß es bei denen ein wenig drin steckt, daß sie sich ein bißchen wurzellos fühlen. Nicht umsonst gibt es ja ganz viele Vereine. Dänischstämmige Amerikaner, deutschstämmige Amerikaner. Ein bißchen wehleidig sind sie da schon, daß sie sich wurzellos fühlen, auch wenn sie es nicht gerne zugeben. <<
Außer Micky Maus, Donald Duck und Coca Cola haben die Amerikaner ja auch nicht viel, mit dem sie sich kulturell identifizieren können.
Micha: >> Das war schon eine gute Erfahrung für uns. Du bist natürlich erst mal in aller Munde und man muß auch sagen, daß Rammstein da natürlich auch Tore geöffnet hat. Das ist Fakt, so wie das Amen in der Kirche. <<
Komisch, daß gerade Bands mit abgefahrenen und zum Teil auch sehr aufwendigen Bühneneshows Erfolge im Ausland feiern können, auch wenn in diesem Zusammenhang immer nur Rammstein zitiert werden und eine Band wie Kraftwerk gerne unter den Tisch gekehrt wird.
Micha: >> Klar, die Amis stehen natürlich drauf. Die stehen auf Prunk. Wenn du in L.A. zum Beispiel durch die Stadt gehst, da hast du einfach das Gefühl, daß jeder in dieser Stadt ein Schauspieler ist. Selbst der Tankstellenpächter, der dir das Benzin einfüllt, ist ein Schauspieler. Viele labern auch nur rum. Für die ist das ganze Leben ein Schauspiel. Um so verrückter du irgend etwas machst, umso mehr stehen sie drauf. <<
Da paßt "das Pferd" ja bestens ins Konzept, handelt es sich dabei doch um eine extra angefertigte Rahmentrommel überdimensionierten Ausmaßes, bei dem eine komplette Pferdehaut als Fell Verwendung fand. Das Schlachten und Abziehen des armen Gaules überließ man dann jedoch den Fachleuten.
Micha: >> Also Ralle, der Schlagzeuger, war da schon dran beteiligt. Er wollte immer eine große Rahmentrommel haben und hat sich so ein Ding nach seinen Vorstellungen bauen lassen. Er ist runter nach Österreich und hat sich das Ding da zusammengefummelt. Sie sieht bombastisch aus und hat einen Riesensound. Da ist eine ganze Pferdehaut draufgespannt. <<
Hoffentlich reißt das Fell nicht.
Micha: >> Das Erste ist schon gerissen. <<
Dann müßt ihr euren Tourplan demnächst wohl den jeweiligen Schlachthöfen anpassen?
Micha: >> Es gibt ja noch Gaffa... (lacht). <<
Was gibt's zu den "Merseburger Zaubersprüchen 2. Teil" zu sagen?
Micha: >> Den wollten wir immer schon machen. Es gibt ja zwei Teile. Irgendwann kam Pymonte mit seiner Harfe ins Studio und meinte "Hey Micha, komm her jetzt und sing mal". Ich sagte nur "Na, was soll ich denn jetzt dazu singen?". "Na, die Merseburger". Er hat dann vorgeklimpert, ich habe mitgesungen und das paßte dann richtig gut. Danach mußte ich weg, irgendwas erledigen, kam wieder und der Rest hatte das dann schon so vierspurmäßig aufgenommen. Ein bißchen Harfe und Pymonte hatte das eingesungen und es klang richtig geil. Schade, daß wir die Aufnahme von dem Gesang nicht mehr haben (großes Gelächter). Ich denke, es ist ein ganz guter Song geworden, zumal es das erste Mal ist, daß den überhaupt jemand von dieser ganzen Mittelalterszene vertont hat. <<
Boomte die Mittelalterszene vor zwei Jahren regelrecht, so kam das, was zwangsläufig folgen mußte. Es fanden sich viele, meist wenig talentierte Nachahmer und der Ruf der Szene verwässerte zusehends, bis Subway to Sally oder eben auch In Extremo mit ihren Alben die Verhältnisse wieder gerade rückten. Besteht durch solche Bands, die sich nur igrendwelchen Trends anzuhängen suchen nicht die Gefahr, daß sich das Interesse an den hart rockenden Vagabunden schnell wieder verliert?
Micha: >>Das kann ich dir nicht sagen. Ich kann nur sagen, daß In Extremo ihren Weg gehen und ihr Ding machen. Was andere Bands in dieser sogenannten Szene machen, ist ihnen selbst überlassen. Anfang der neunziger Jahre hieß es auch schon mal, daß die ganzen Mittlelaltermärkte kaputt wären. Guck aber mal in so eine Mittelalterzeitung rein. Das ist Wahnsinn. Wir machen ganz, ganz selten nur noch mittelalterliche Märkte. Wuppertal letztes Jahr war eine Ausnahme, weil der Veranstalter uns da unbedingt haben wollte. Da standen zweitausend Leute vor der Bühne und ich bin überhaupt nicht mehr durchgekommen. Da schreist du dir nur die Lunge aus dem Hals. <<
Hinzu kommen schlechte Kritiken, denn kaum jemand wird die Schuld beim Veranstalter sondern bei der auftretenden Band suchen. Wenn sich, so wie letztes Jahr auf diesem sogenannten Mittelaltermarkt in Wuppertal geschehen, eine handvoll Stände auf einem viel zu kleinen Veranstaltungsgelände verlieren, so hat das schon einen mehr als faden kommerziellen Beigeschmack.
Micha: >> Das ist der Grund, warum wir auch nur noch zwei Mittelaltermärkte im Jahr machen. Da machen wir einmal abends zwei Konzerte bei Stuttgart unten auf dem Wäscherschloß, und dann noch auf der Runeburg in Weissensee bei Erfurt. Das is auch ein sehr mittelalterlicher Markt mit alten Medicussen. Ein Markt, wo du sagst, die kümmern sich und geben sich wirklich Mühe. Die meisten mittelalterlicher Veranstalter wollen ihre Bockwurst verkaufen, ihre Cola-Dosen präsentieren und schreiben den Musikern vor, daß sie sich auch ja stilgerecht kleiden. Selbst Leder ist schon zuviel für die. Gleichzeitig steht dann irgendwo ein Cola-Automat in so einer Plastikbude rum. Da faßt du dich dann wirklich nur noch an den Kopf. Von so etwas distanzieren wir uns natürlich. <<
Wie lange kann man als Band und als Musiker dieses Image der vagabundierenden Mittelaltermusiker aufrecht erhalten, ohne unglaubwürdig zu werden? Das eigene, innere Gefühl ist ja nur ein Aspekt. Viel wichtiger ist, wie man sich und die Band nach außen hin repräsentiert, ohne sich dabei der Lächerlichkeit Preis zu geben.
Micha: >> Ich sage mir, die Welt ist groß und In Extremo sind eine sehr bauchige Band. Dort wird vieles aus dem Bauch heraus entscheiden und ich denke mal, daß die Band ihren Weg gehen wird. Szene hin, Szene her. Im Ausland wissen viele gar nicht, was das Ganze mit dem Mittelalter zu tun hat. Das ist für die der Hammer und denen ist es auch egal, ob wir aus der Mittelalterszene kommen, oder nicht. In Deutschland kommen ja mittlerweile auch so viele Leute aus anderen Bereichen zu uns, wo wir zum Teil wirklich erstaunt sind. Da denken wir im Moment auch gar nicht drüber nach. Wir bringen jetzt die Platte raus, und dann sehen wir weiter. <<
Empfindet ihr, bei all dem Erfolg der letzten Jahre, einen gewissen Zwang, mit der Musik euren Lebensunterhalt auch weiterhin bestreiten zu können?
Micha: >> Nein, nicht unbedingt. Wenn die Plattenfirma sagen würde "Nee, ist nicht", dann stellen wir uns auch wieder mit dem Dudelsack hin und machen Musik. Das wissen die aber auch, daß wir von solchen Leuten nicht abhängig sind. <<
Existenzängste sind euch also vollkommen fremd?
Micha: >> Man denkt schon mal nach, was ist, wenn die Platte floppt. Man hat ein halbes Jahr Arbeit an der Backe, man tut und macht und ist natürlich auch gespannt, wenn sie dann rauskommt. Das ist aber ja ganz normal. <<
Der Zwist mit Tanzwut, angezettelt von euren Kollegen, und der Umgangston unter den Kollegen beherrschte eine Zeit lang die Diskussionen. Ist dieser Streit mittlerweile beigelegt oder unterschwellig immer noch ein Thema?
Micha: >> Sie haben uns ein Lied gewidmet, worüber ich mittlerweile lachen kann. Sie müssen es letztlich aber selber wissen. Sie sind alt genug und es sind zum Teil ja auch Kollegen, mit denen wir jahrelang zusammengespielt haben. Man kennt sich eigentlich so gut, daß es eigentlich albern ist, wenn sowas passiert. Wir haben keinen Ärger mit ihnen gehabt. Tanzwut machen ihr Ding, und das finde ich auch in Ordnung, und wir machen unser Ding. <<
Michael Kuhlen (OBLIVION) für die GOTHICWORLD