FRITZ-Exklusiv-Interview mit In-Extremo-Bassist "Die Lutter", der mit seinen Mannen im Rahmen der "7"-Tournee auch Österreich einen Besuch abstattete.
Als ich vor wenigen Tagen eine Email bekam in der ich gefragt wurde ob ich ein Interview mit In Extremo machen wollte, war ich als großer Fan ihres "Weckt die Toten" Albums natürlich sofort dabei. Wenige Tage, einige Telefonanrufe und viele Hördurchgänge ihrer neuen CD "Sieben" später war es dann endlich soweit, am Samstag so gegen halb acht am Abend läutete das Telefon und ich hatte Bassist "Die Lutter" von In Extremo am Apparat.
Nachdem wir erste sprachliche Hindernisse überwunden hatten, "Die Lutter" outete sich als "Norddeutsche Seele" die meinem flachgauerischen Berggdialekt nicht folgen konnte, konnte das Interview in perfektem Hochdeutsch endlich losgehen. Innerhalb der nächsten zwanzig Minuten sollte ich In Extremo mit meinen über zwei Dutzend vorbereiteten Fragen löchern, was sich aber spätestens nach der ersten Frage als Ding der Unmöglichkeit herausstellen sollte, da mein Gesprächspartner viel zu erzählen hatte und dies meinen geplanten Zeitrahmen definitiv gesprengt hätte. Hier nun das Gespräch wie es stattgefunden hat.
FRITZ: Wie fühlen sich In Extremo im siebten Jahr ihres Bestehens, habt ihr euch am Anfang gedacht, dass ihr solange durchhalten und so weit kommen würdet?
Die Lutter: "Eine gewisse Erwartungshaltung hatten wir im Eigentlichen nicht, da In Extremo eigentlich aus Spass und Fun entstanden ist. Momentan fühlen wir uns grossartig, die Popularität die wir momentan geniessen und den Erfolg den wir haben, finden wir schon genial. Wir fühlen uns absolut wohl, wie es gerade ist. Ich darf gerade mal das Thema VIVA ansprechen, denn da gibt es ja gewisse Kontroversen, man denkt immer "Scheiss Kommerz Sender" aber wir finden es gut, dass wir diese mediale Plattform erobert haben und darauf präsent sind."
FRITZ: Auf das Thema VIVA wollte ich sowieso später noch zu sprechen kommen. Die zweite Frage wäre zu eurem Albumtitel. Wie seid ihr auf die Zahl Sieben gekommen, hat das irgendeine spezielle Bedeutung?
Die Lutter: "Das hat eigentlich eine ganz einfache Bewandtnis, wir sind sieben Musiker, es ist das siebte Jahr in dem wir zusammen musizieren und es ist unsere siebte Platte, inklusive den beiden Mittelalter-Platten "In Extremo" und "Hameln". Dies soll die Sieben auf dem Plattencover umschreiben."
FRITZ: Meine nächste Frage spielt nun eher auf die okkulte Seite des Mittelalters an. Glaubt ihr als Mittelalter-Musiker an Magie und Legenden aus dem Mittelalter? Auf eurem letzten Album "Sünder ohne Zügel" ist ja eine Interpretation der "Merseburger Zaubersprüche" zu hören, eine Spruchformel die zur Heilung rezitiert wurde.
Die Lutter: "Spruchformel zur Heilung ist zwar richtig, aber um mal weiter her zu holen, der 'Merseburger Zauberspruch' fußt auf einer Art vorchristlicher Magievorstellung, einer heidnischen Naturreligion, die weit vor dem Christentum da war und den Zustand damals umschreibt. Ob wir nun an Mythen und Legenden glauben? Auf jeden Fall, jeder von uns glaubt an irgendwas Höheres, möge man es nun Gott oder Allah nennen. Im Prinzip glaube ich, dass die ganze Welt dasselbe meint. Leider sind einige in bisschen dämlich und schlagen sich darüber die Schädel ein, wie man das ganze tituliert. Aber im Grunde denke ich, dass es schon Mysterien gibt, da ist sicher was dran."
FRITZ: Das leitet nun gleich über zur nächsten Frage, und zwar Religion. Ihr habt ja auf fast allen euren Alben christliches Liedgut, auf Sieben etwa "Ave Maria" und "Madre Deos". Wie steht ihr zu Religion, hat das eine Bewandtnis für euch?
Die Lutter: "Religion betrachten wir objektiv, dass wir sie in jedem Falle akzeptieren und dass jeder glauben darf was er will. Das sollten sich einige Leute mal hinter die Ohren schreiben! Wir persönlich, sag ich mal, sind unreligiös. Keiner von uns glaubt im eigentlichen Sinne an Gott oder geht in die Kirche oder ist in irgendeiner religiösen Sekte. Ich denke das ist auch nicht unser Lebensweg, wir sind da modern eingestellt und eigentlich offen für alles. Ich denke einen guten Menschen zeichnet eigentlich aus, wenn er Akzeptanz gegenüber jeder Form von Glauben hat. Religiös ist aber keiner von uns, ob nun der Papst oder ein Muhezin dasteht ist uns Jacke wie Hose."
FRITZ: Ihr seid sozusagen mehr am Liedgut interessiert als an dem was dahinter steht?
Die Lutter: "Es ist ja auch interessant, wie dieses Textgut zustande kam. Die Kirche und die Christen hatten ja damals das Sagen und das schlägt sich natürlich auch im Text des Liedgutes nieder."
FRITZ: Kommen wir nun auf eure musikalischen Einflüsse zu sprechen. Ist Walther von der Vogelweide euer grosses Vorbild oder orientiert ihr euch vielmehr an "moderneren" Sachen?
Die Lutter: "Nicht unbedingt. Walther von der Vogelweide war ja einer von Vielen und wir fanden es halt wichtig, dass er erwähnt wird. In Extremo ist im Eigentlichen ein Projekt, das versucht aufzuzeigen was es gegeben hat, nicht nur in unserem Sprachraum, sondern auch in anderen Ländern. Das erstreckt sich ja durch ganz Europa, angefangen in Portugal, Frankreich, Spanien bis hoch nach Nordskandinaven. Aus all diesen Ländern sichten wir Texte und graben altes Liedgut aus und sind stetig bemüht, diese in den Originalsprachen zu bringen. Wir denken, dass das eine ganz eigene Vibration hat. Viele Rockbands singen in Englisch oder der Sprache ihres Landes, weil es angesagt oder populär ist. Wir haben die Problematik selber, dass Plattenfirmen versuchen, das Diktat zu führen und vorschreiben, dass wenn man eine Single macht sie in der und der Sprache sein muss. Wir finden halt, es ist ein cooler Weg in mehreren Sprachen zu singen. Wir haben zum Beispiel Stücke in Altspanisch und Altschwedisch. Ich könnte mir beim besten Willen nicht vorstellen wie "Herr Mannelig" (vom fünften Album "Verehrt und Angespien" - Anm.) in Hochdeutsch klingen würde."
FRITZ: Gut, dass du auf dieses Thema zu sprechen kommst. Ihr verwendet sehr viele unterschiedliche Sprachen wie etwa Latein, Spanisch, Französisch, ... Versteht ihr diese Sprachen auch und sprecht ihr sie selber?
Die Lutter: "Teilweise, verschiedenes lernten wir in der Schule wie etwa Latein oder Französisch. Die Übersetzungen werden aber schon im Hintergrund gemacht. Um z.B. auf Skandinavisch zu kommen, ich verstehe Schwedisch und Dänisch, weil ich und meine Eltern aus dieser Ecke kommen. Aber um die Texte zu übersetzen, diese alten Sprachstile, da haben wir schon Hilfe. Es gibt Linguistiker, die man befragen kann wie das klingen muss und wir machen uns schon ziemliche Gedanken, das so authentisch wie möglich rüberzubringen. Die Leute, die die jeweilige Sprache halt nicht verstehen, haben die Möglichkeit sich die Übersetzungen im Booklet anzusehen. Ich persönlich glaube auch das man bei einer unserer Shows, auch wenn man die Texte nicht gleich vordergründig versteht, die Möglichkeit hat ein wenig Realitätsflucht zu begehen, denn du tauchst in eine Welt der Melodien ein und hörst diese Sprache klingen ... es ist irgendwie abgefahren."
FRITZ: Auf eurem neuen Album etwa habt ihr zwei Lieder, "Sefardim" und "Sagrada Trobar". Worum geht es in den Texten?
Die Lutter: "Sagrada Trobar" ist ein Text aus der Liedersammlung "Cantia de Santa Maria" (oder so ähnlich... - Anm. *G*) und handelt von einem Spielmann, der sich entschliesst, heilig zu werden bzw. Heiligtum zu erlangen und anstellen möchte was er will. Aufgrund seines Lebenswandels und seinem Strassenleben wird das natürlich nichts. Bei "Sefardim" oder "König Nimrod" geht es um die Vertreibung der Juden aus Portugal im 14. Jahrhundert."
FRITZ: Meine nächste Frage wäre zu "Albtraum". Meiner Information nach stammt der Text von Frank Wedekind (1864 - 1918), einem deutschen Lyriker, der wegen seiner Texte aufgrund ihrer gewalttätigen oder beinahe pornographischen Inhalte stets Schwierigkeiten mit der Zensur hatte. Wie kamt ihr darauf, einen Text von ihm zu verwenden? Provokation oder mehr?
Die Lutter: "Provokativ ist es in keinem Fall zu sehen. Heutzutage hat die mediale Welt unwahrscheinlich Schwierigkeiten mit der Zensur. Ich nehme jetzt als Beispiel Rammstein, die hatten vor zwei Jahren Probleme, als diese Amokläufe in Amerika stattfanden und ihre Musik in der Diskussion um den Auslöser dafür auftauchte. Den Text von "Albtraum" sehen wir von In Extremo viel mehr als schwarzen Humor, wie er gut in Englischen Filmen wie Trainspotting oder bei den Monty Pythons vorkommt. Da gibt es einen ganz eigenen Art von Humor der auch oft in der Band In Extremo grassiert. Wir denken, dass es ein ganz normales, deutsches Problem ist, sich über jeden Scheiss gleich aufzugeilen und immer so ernst durch das Leben zu gehen. Ein bisschen Lockerheit und Coolness könnte da nicht schaden. Ich glaube aber auch, dass die letzten Zeilen des Textes die Geschichte ganz gut auflösen. Es ist in keinem Fall böse gemeint sondern einfach nur schwarzer Humor."
FRITZ: Da du Rammstein erwähnt hast: es gibt gewisse Tendenzen auf eurem neuen Album in Richtung NDH (Neue Deutsche Härte). Waren die gewollt...
Die Lutter: "NDH ist für mich sowieso eine Definition, die Journalisten gerne verwenden. Rammstein ist eine Band, die es geschafft hat und wir kennen sie seit unserer Jugend an, da sie aus unserem Kiez kommen. Ich finde es nur immer schade und ein bisschen dumm, jede Band die sich auf den Weg macht, mit Rammstein zu vergleichen. Es gibt massig Bands die ihren eigenen Weg beschreiten und es ist echt affig, diese immer mit Rammstein zu vergleichen. Okay, wir sind eine Showband, aber man kann nicht sagen wir sind wie Kiss, die haben auch viel Feuer auf der Bühne gemacht, das wäre Blödsinn. Jede Band nutzt ausdrucksstarke Elemente wie etwa Feuer und Pyrotechnik auf der Bühne zu ihren eigenen Zwecken, um ihre eigenen Bilder damit zu unterstreichen und zu unterstützen."
FRITZ: Mittlerweile könnte man ja auch fast sagen ihr seid grösser als eure Landsleute von Rammstein.
Die Lutter: "Ich sag mal konservativ, Rammstein sind medienkompatibler, da sie mathematische, gerade Musik machen, die ich persönlich auch stellenweise gerne höre, zuviel davon würde mir aber auch auf die Eier gehen. Ich kenne sie aber als Menschen und gönne ihnen absolut den Erfolg, den haben sie echt verdient. Sie haben sich wirklich jahrelang den Arsch abgespielt. Hut ab, echt toll was sie erreicht haben!"
FRITZ: Kommen wir nun auf Erfolg und das Thema VIVA zu sprechen. In eurem Pressetext steht der Satz:" Die Spielleute sind im Hier und Jetzt angekommen und schon lange ist die Gefolgschaft keine kauzige Gemeinde, die sich auf Mittelaltermärkten mit gut gepolsterten Hellebarden vom Pferd schubsen, sondern junge Musikfans, die VIVA und MTV schauen." Deine Meinung?
Die Lutter: "Stellenweise schon, wenn du in die ersten Reihen bei unseren Konzerte siehst ist da schon was dran. Man sollte schon sehen, dass In Extremo für den Mainstreambereich eine artfremde Musik macht, das ist völliges Neuland für die Leute. Vor drei Jahren haben die ihre Nasen gerümpft, aber kaum stellt sich irgendeine Plattenfirma hin und schon ist das geil. Ich denke im Musikgeschäft ist schon viel Diktat, die Menschen sehen nur nach rechts und links: was könnte dem Nachbarn gefallen, was ist geil, womit kann ich die anderen beeindrucken? Wenn die Leute sich etwas mehr öffnen würden gebe es kein Problem. Die Resonanz auf die In-Extremo-Musik zeigt eindeutig, dass Bedarf besteht. Und ich kann nur dankend erwähnen, das durch eine Independent Band wie In Extremo, die mit zwei Videos auf VIVA vertreten sind der Schritt geschafft wurde. Wenn den ganzen Tag nur HipHop rauf und runter rennt ist das ein bisschen amerikanisches Diktat finde ich. Der europäische Musikkonsument ist sicher offener, der möchte auch mal andere Sachen hören. Es gibt sicher auch gute HipHop Bands, die intelligente Texte und gute Musik machen, wie etwa Fünf Sterne Deluxe oder Fanta Vier, nach einer Stunde geht mir das ganze aber auf die Eier. Deren Musik spricht aber eine Zielgruppe von Jung bis Alt an, das muss man erst mal nachmachen."
FRITZ: Um auf eure erste Single "Küss mich" zu sprechen zu kommen. Mich persönlich erinnert der Song durch den Refrain und die doch eher simple "Mitpfeif"-Melodie mehr an einen Schlager denn an einen Song von In Extremo, wie ich sie von früher kenne. Wie seht ihr das?
Die Lutter: "Wenn du eine Single machst, musst du eine bestimmte Herangehensweise an Musik haben. Alle Songs im Radio bauen auf ein bestimmtes Prinzip auf, auf eine Hookline. Bei "Küss mich" oder "Erdbeermund" war die Herangehensweise eine solche, wir hatten nicht im Hinterkopf gehabt einen Schlager zu schreiben, wir wollten als Band Musik machen, die ins Ohr geht. Man spielt so einen Song erst mal hundert Leuten vor und wenn dieser Aha-Effekt dann beim hundertsten Menschen genauso besteht, dann weißt du, dass du es geschafft hast und packst die Nummer mit auf die Platte. Es ist im Prinzip eine technische Herangehensweise, die du als Musiker machst, um Songs auf eine bestimmte Art zu trennen, ohne zu sagen ich mach jetzt Kommerz und ich will möglichst viele Leute damit erreichen. Wir stehen voll hinter den Nummern, das ist kein Problem für uns.
FRITZ: Sprechen wir nun über die Gäste auf eurem Album, da wären Paddy Kelly oder Thomas D von den Fanta Vier. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Die Lutter: "Paddy Kelly war im selben Studiokomplex wo wir gearbeitet haben, in den Principal Studios, und wir haben uns beim Abendbrot kennen gelernt. Entgegen allen Vorurteilen die es gegen die Kelly Family gibt, Paddy ist ein supersympathischer, netter Bengel der tough und straight an sich und seiner Musik arbeitet. Sein neues Projekt, an dem er arbeitet, hat meine absolute Akzeptanz, ich finde die Musik wirklich stellenweise gut und muss wirklich sagen: Hut ab! Wenn der Bengel so weiter macht ist er mit 35 da wo Grönemeyer heute ist. Thomas D ist ein Freund unseres Sängers und es lag halt nahe, dass man sich mal im Studio trifft und was zusammen macht. Er hat auf dem Titel "Ave Maria" mitgewirkt."
FRITZ: Kommt In Extremo gemischt mit dem HipHop der Fanta Vier?
Die Lutter: "Nö, das denk ich nicht. Es ist ja eigentlich mehr ein Sprechchor den er gemacht hat und das hat nichts mit HipHop zu tun. Bei uns ist eigentlich keiner Anhänger der Hängehosen-Fraktion. Wir sind Rock-'n'-Roller!"
FRITZ: Das hört man gerne! Aber nun zur letzten Frage und erneut zur Zahl Sieben. Was glaubst du werden euch die nächsten sieben Jahre bringen?
Die Lutter: "Das wissen wir nicht, über die Zukunft kann man nicht sprechen. Man kann morgen von der Bettkante fallen und sich das Genick brechen. Von daher sind wir eigentlich offen, freuen uns auf unsere Arbeit uns schauen mal was dabei rauskommt. Man muss auch sehen wie die Leute das annehmen. Wir sind ja auf einem grossen Weg."
#michael hellermann