Neurotische Depression. |
Unterschiedliche Formen depressiver Erkrankungen stellen die häufigsten psychischen Störungen überhaupt dar. Die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) gibt in den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (GDPPN) eine Übersicht über die Häufigkeit der Depression. Demnach leiden mehr als 10 % der Gesamtbevölkerung an depressiven Störungen. Die Zahl schwerer und damit unbedingt behandlungsbedürftiger depressiver Erkrankungen wird mit 2 bis 7 % angegeben. Die Lebenszeitprävalenz, d. h., das Risiko eines Menschen im Laufe seiner Lebensspanne zumindest einmal an einer Depression zu erkranken, wird mit 7 bis 18 % beziffert.
Depressionen können seelisch bedingt sein (neurotische Depression bzw. reaktive Depression), vorwiegend anlagebedingt (endogene Depression) oder auch somatisch bedingt, beispielsweise als Symptom einer Körpererkrankung oder als Nebenwirkung von Medikamenten.
Die neurotische Depression stellt innerhalb des Spektrums depressiver Erkrankungen die größte Gruppe dar. Im allgemeinen geht man davon aus, dass es sich bei einer neurotische n Depression in der Momentaufnahme zwar meist nicht um ein besonders schweres depressives Erscheinungsbild handelt, die Symptomatik allerdings oft schon im Jugend- bzw. jungen Erwachsenenalter beginnt und unbehandelt oft einen chronischen Verlauf nimmt. Unter Berücksichtigung der Chronifizierungsprozesse entsteht so bei vielen an einer neurotische n Depression Erkrankten ein erheblicher Leidensdruck.
Bei einer neurotische n Depression geht man davon aus, dass psychologische Faktoren eine ganz wesentliche, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle spielen. Die Betrachtung des lebensgeschichtlichen Zusammenhanges zeigt oftmals typische Konflikte in frühen und prägenden Kindheitsjahren, die von der betreffenden Person internalisiert, d. h. verinnerlicht worden sind und somit im erwachsenen Alter ihre Relevanz behalten. Exemplarisch skizziert könnte der Werdegang eines Menschen, der später an einer neurotische n Depression erkrankt, etwa wie folgt aussehen.
(Beispiel ) Frau A. wird geboren als älteste von 4 Geschwistern einer emotional überforderten Mutter. Mit großer Sensibilität ausgestattet, erspürt Frau A. nun in frühen Kinderjahren die mütterliche Überforderung. Sie richtet ihr ganzes Verhalten darauf aus, brav zu sein, der Mutter keinen Kummer zu bereiten und diese zu unterstützen. Unangepasst zu sein, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern erweckt Schuldgefühle, weil Frau A. unbewußt realisiert, dass sie hierdurch die mütterliche Überforderung verstärken kann. Um dennoch in den Genuss mütterlicher Zuwendung und Bestätigung zu gelangen, entwickelt Frau A. Umwege. Sie „wählt“ früh die Rolle von Mutters Großer, die sich selbstlos und bescheiden um die jüngeren Geschwister kümmert und die Mutter hierdurch entlastet. Sie wird Lob und Bestätigung von der Mutter erhalten, aber stets über den Umweg eine Leistung erbracht zu haben. Obwohl die Beziehung zur Mutter insgesamt gut und tragfähig sein mag, wird bei Frau A. ein ständig nagender Zweifel zurückbleiben, ob sie so gemocht und geliebt wird sie ist oder ob sie Zuneigung nur deshalb erfährt, weil sie sich im Dienste der Mutter engagiert. Dieser Grundkonflikt wird in die Persönlichkeit von Frau A. eingehen. Sie wird möglicherweise den Beruf einer Krankenschwester oder einen anderen sozialen Beruf erwählen, wo sie das fortführen kann, was sie im Elternhaus gelernt hat. Sie wird sich beruflich um andere Menschen kümmern und auch in der Familie ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse zurückstellen. Sie wird möglicherweise ihre Zuwendung für anderen Menschen übertreiben.
Getrieben ist sie dabei von einem oft unbewußten Wunsch, durch das starke Engagement für andere Menschen gemocht und geliebt zu werden. Mit einer solchen depressiven Persönlichkeitsstruktur kann Frau A. in ihrem Leben durchaus sehr erfolgreich sein, sozial engagiert und von anderen Menschen sehr geschätzt. Zur Dekompensation und zum Auftreten depressiver Krankheitssymptome kommt es meist dann, wenn der ursprüngliche Konflikt aus der Kindheit wiederbelebt wird. Dies kann zum Beispiel durch gravierende lebensverändernde Ereignisse sein. Der Tod der Mutter oder eine partnerschaftliche Trennung beispielsweise können dazu führen, dass Frau A. sich eingestehen muss, das Ausmaß an Liebe, Zuneigung und Wertschätzung, das sie sich immer gewünscht hat, von der geliebten Person endgültig nicht mehr erhalten zu können. (Oftmals sind auslösende Situationen aber viel alltäglicher und werden in ihrer emotionalen Bedeutung verkannt).
Dies führt nicht alleine zu einer schweren Enttäuschung, sondern auch zu Gefühlen von Ärger und Wut auf die enttäuschende Person. Genau diese aggressiven Gefühle kann Frau A sich allerdings nicht eingestehen, da sie nicht zu ihrem Selbstbild passen. In der Fachsprache sagt man, dass diese Gefühle verdrängt bleiben. Mit der Verdrängung sind die Gefühle allerdings nicht einfach zum Verschwinden gebracht. Gleichsam in einer Umkehrung, in einer „Wendung gegen das Selbst“ richten sich die aggressiven Gefühle jetzt gegen die eigene Person. Aus dem Vorwurf der Anklage wird jetzt eine depressive Selbstanklage „ich kann nichts, ich schaffe nichts, ich bin nichts wert“.
Typische Symptome einer neurotische n Depression:
Gefühle: Die Stimmung ist unglücklich, niedergeschlagen, bedrückt, verzweifelt und resigniert. Es kann sein, dass Jemand bei jeder Kleinigkeit in Tränen ausbricht oder aber, dass er sich tief bedrückt und verzweifelt erlebt, aber geradezu daran leidet, nicht weinen zu können. Die Bandbreite normalen emotionalen Erlebens ist stark eingeschränkt. Ein stark depressiver Mensch kann sich über positive Ereignisse nicht freuen. Vielleicht kann er solches nicht einmal mehr wahrnehmen. Viele depressive Menschen beschreiben ein „Gefühl der Gefühllosigkeit“. Sie leiden daran, keine Gefühle der Liebe mehr empfinden zu können und äußern, dass alles leer, stumpf und abgetötet sei. Sie sprechen von einem „Erkalten über Gefühle“ oder einer „seelischen Mauer“, die sie umgibt.
Energie/Antrieb: Depressive Menschen leiden daran, sich nicht aufraffen zu können, etwas zu tun. Der Wille zu Aktivitäten kann durchaus vorhanden sein, aber der Betreffende erlebt sich in hohem Maße lustlos, antriebslos, schwach und kraftlos, ohne Schwung und ohne Initiative. Er kann sich nicht aufraffen. Der „innere Schweinehund“ wird unüberwindbar groß. Manche Menschen beschreiben es als ein Gefühl, „als ob eine unsichtbare Macht einem von jeglicher Aktivität fern hält“. Entgegen dieser depressiven Hemmung, die zumindest bei schweren Depressionen auch für die Umgebung sichtbar wird, erleben viele Menschen eine starke innere Unruhe. Sie sind nervös, gestresst, gehetzt und getrieben, „wie unter Strom“. Als Versuch, die depressive Hemmung mit Willensanstrengung zu überwinden, kommt es oft zu einem hektischen Beschäftigungsdrang. Vieles wird angefangen, jedoch ohne die Tätigkeit zu einem sinnvollen Ende führen zu können.
Aufmerksamkeit/Konzentration: Die Konzentration ist meistens beeinträchtigt. Eine längere konzentrierte Beschäftigung mit einer Sache wird unmöglich. Das Denken ist gehemmt, die Merkfähigkeit eingeschränkt. Die Aufmerksamkeit wird zunehmend von der Umgebung (private oder berufliche Angelegenheiten) abgezogen. Sie engt sich immer mehr auf die depressive Symptomatik ein. Es wird zunehmend schwer, sich mit mehreren Dingen gleichzeitig zu beschäftigen, man erlebt sich selbst als abwesend, mit den Gedanken woanders.
Denken: Typisch für eine Depression ist das grüblerische Denken. Die Gedanken drehen sich im Kreis, die immer gleichen Denkinhalte drängen sich auf. Man kommt zu keinem Ergebnis. Dabei zermürbt das depressive Denken. Es kommt zu einer Überbewertung früherer oder aktueller Ereignisse mit dem Resultat eines schlechten Gewissens. Vielleicht werden kleinere Verfehlungen aus der Vergangenheit gegenwärtig, mit der Tendenz, sich ständig vor sich selbst rechtfertigen zu müssen. Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ist stark herabgesetzt. Bei einer schweren Depression kann Jemand auch bei einer banalen Fragestellung in ein grüblerisches Abwägen geraten, sich hin- und hergerissen fühlen, unfähig, zu einer Entscheidung zu gelangen.
Selbstwert: In einer Depression erscheint der Betroffene sehr dünnhäutig. Er ist sehr sensibel gegenüber Kritik und fühlt sich rasch angegriffen. Er neigt unter Umständen dazu, Schuldgefühle zu entwickeln, auch dort, wo es nicht um eigenes Verschulden geht. Das Selbstwertgefühl ist insgesamt deutlich herabgesetzt. Schwer depressive Menschen erleben sich nicht selten als eine Last für ihre Umgebung und entwickeln lebensmüde Gedanken. Dies kann beginnen mit den unspezifischen Gedanken, das alles nicht mehr aushalten zu können, nicht mehr aufwachen zu wollen. Nicht selten tauchen konkrete Suizidgedanken oder -pläne auf. Ca. 50 % aller tödlich verlaufenden Selbstmordversuche werden im Rahmen depressiver Erkrankungen begangen.
Zwischenmenschlicher und beruflicher Bereich: Das Interesse an Hobbys geht verloren. Es fällt zunehmend schwer, Kontakte aufrechtzuerhalten. Der an einer Depression erkrankte Mensch tritt einen Rückzug an, igelt sich ein, sagt häufig unter Vorwänden Verabredungen ab. Es fällt schwer, neue Kontakte zu knüpfen. Weil man sich nicht traut seinen Freunden mitzuteilen an einer Depression zu leiden, verstehen diese die eigenen Reaktionen oft falsch und wenden sich aus Ärger ab. An der Arbeit entsteht zunächst ein Gefühl permanenter Überforderung. Arbeiten dauern länger als sonst. Schließlich kommt es auch zu einem objektivierbaren Leistungsabfall. Das Arbeitspensum wird nicht geschafft. Nicht selten nimmt man Akten mit in den Feierabend, ins Wochenende oder in den Urlaub. Hierdurch beschleunigt sich zumeist die Abwärtsspirale depressiven Erlebens, da Regenerationszeiten zunehmend fehlen.
Körperliche Symptome:
Schlafstörungen: Einschlafstörungen können auftreten, sind insgesamt aber weniger typisch als Durchschlafstörungen, die fast bei keiner Depression fehlen. Auf dem Höhepunkt einer schweren Depression erwacht Jemand manchmal nach ein oder zwei Stunden bereits wieder und kann für längere Zeit nicht einschlafen. Oder aber der Schlaf bleibt ab dem ersten Erwachen oberflächlich und ist durch viele Wachphasen gestört. Gehäufte Albträume können auftreten. Morgens fühlt man sich wie gerädert, so, als habe man überhaupt nicht geschlafen.
Appetit: Eine schwere Depression geht häufig mit einer Appetitlosigkeit und starkem Gewichtsverlust einher, sodass die Betreffenden nicht selten befürchten, an einem Tumor erkrankt zu sein. In anderen Fällen kommt es zu Heißhunger und folglich zu einer Gewichtszunahme.
Kopfdruck: Typisch für eine Depression ist ein diffuser Druck im ganzen Kopf. Es handelt sich nicht im eigentlichen Sinne um einen Kopfschmerz, bei dem es irgendwo pocht, sticht oder hämmert. Depressive Menschen beschreiben diesen Kopfdruck oft als ein Gefühl, ständig einen Helm zu tragen oder so, als sei der Schädel ständig leicht in einen Schraubstock eingespannt.
Atmung: Enge im Brustkorb, Druck auf der Brust, flache Atmung, schweres Atmen und Keuchen.
Herzbeschwerden: Herzklopfen, Herzrasen. Stechen und Brennen in der Herzgegend, Druckgefühl hinter dem Brustbein.
Kreislauf/vegetatives Nervensystem: Hitzewallungen und Kälteschauern. Zittern. Leichtes Erröten. Kalte Hände und Füße. Temperaturüberempfindlichkeit. Blutdruckschwankungen bzw. ständig erhöhter Blutdruck. Schwindel, weiche Knie.
Magen-Darm-Trakt: Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen. Häufige Blähungen. Sodbrennen. Magendruck. Häufig Verstopfung, seltener Durchfall.
Die Behandlung der neurotische n Depression setzt zunächst eine eingehende psychotherapeutisch/psychiatrische und körperliche Untersuchung voraus. Ist die Diagnose gesichert, geht es um die Identifizierung von individuell prädisponierenden, krankheitsauslösenden und -aufrechterhaltenden Faktoren. Schließlich geht es darum möglichst genau zu erfassen, wie sich das Beschwerdebild eines an einer neurotische n Depression erkrankten Menschen in seinen konkreten Lebensbezügen (Beruf, Familie, Freizeit) auswirkt.
Bei der Behandlung einer neurotische n Depression steht die Psychotherapie im Vordergrund. Das therapeutische Vorgehen unterscheidet sich methodisch in Abhängigkeit vom angewandten Therapieverfahren (tiefenpsychologische Psychotherapie, Verhaltenstherapie).
In der Verhaltenstherapie geht es weniger darum, in der Vergangenheit liegende Ursachen für eine Depression aufzudecken. Vielmehr wird versucht, ungünstige Verhaltensmuster und Denkgewohnheiten, deren sich die Patienten meist gar nicht bewusst sind, zu identifizieren. Unter Anleitung des Psychotherapeuten lernt der Patient dann, andere, günstigere Verhaltensweisen zu entwickeln und einzuüben. So kann sehr kleinschrittig beispielsweise versucht werden, einen Patienten anzuregen, seinen sozialen Rückzug ein wenig aufzugeben und wieder unter Menschen zu gehen, seine Arbeit wieder aufzunehmen oder in angemessener Abstufung alltägliche Verrichtungen wieder zu bewältigen. Depressive Selbstzweifel, Selbstanklagen und negative Ansichten über andere Menschen und über sich selbst werden eingehend besprochen. Mit Hilfe des Therapeuten kann der Patient so allmählich lernen, seine negative (depressive) Sicht der Dinge gegen eine neutralere oder positivere Haltung einzutauschen.
Tiefenpsychologische Therapieansätze gehen zwar auch davon aus, dass Lernvorgänge in der Depression sentstehung eine Rolle spielen. Sie messen diesen aber eine etwas geringere Bedeutung bei. Als zentral werden hier bestimmte Konflikte früherer Lebensphasen angesehen, die nicht angemessen bewältigt werden konnten und jetzt im Erwachsenenleben eine krank machende Wirkung entfalten. Im therapeutischen Gespräch wird die depressionsauslösende Konfliktsituation identifiziert. Dabei geht es nicht alleine um eine äußere, sozusagen objektivierende Beschreibung der Konfliktsituation, sondern vor allem darum zu erhellen, wie die betroffene Person subjektiv auf ihrem persönlichen Lebenshintergrund die Situation erlebt hat. Oft ermöglicht erst das Verständnis lebensgeschichtlich prägender Konfliktsituationen, die gefühlsmäßige Dimension des Aktualkonfliktes angemessen zu verstehen.
Beispiel: Ein 47-jähriger Angestellter kommt mit deutlich ausgeprägten Symptomen einer Depression in eine Rehabilitationsklinik. Er berichtet, dass die depressive Symptomatik mit nur kurzer Verzögerung aufgetreten sei, nachdem sein Abteilungsleiter ihm den schon lange zuvor besprochenen Urlaub aus betrieblichen Gründen gestrichen habe. Der pflichtbewusste und ehrgeizige Mitarbeiter verzichtete auf den Urlaub, entwickelte aber nach kurzer Zeit bereits Schlafstörungen und dann das Vollbild einer Depression. Der aktuelle Konflikt ist unschwer zu identifizieren. Es geht um einen Widerstreit zwischen Wünschen nach Ruhe, Erholung und Urlaub auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem Pflichtgefühl, seiner Arbeit nachzukommen und für Interessen der Firma einzutreten.
Allein die Betrachtung des aktuellen Konfliktes vermag allerdings nicht zu erklären, warum dieser Mitarbeiter eine Depression entwickelt. Das vertiefte Gespräch zeigt, dass der Mitarbeiter durchaus Verständnis für die betriebliche Situation aufzubringen vermag. Er sieht ein, dass nicht alle Mitarbeiter in Urlaub gehen können, weil ein großes und wichtiges Projekt abgeschlossen werden muss. Er empfindet allerdings die Tatsache, dass sein Urlaub gestrichen wurde, als willkürlich und schikanös.
Die erweiterte Anamneseerhebung unter tiefenpsychologischen Gesichtspunkten erbringt schließlich wichtige Hinweise auf biografisch bedeutsame Konflikte des Patienten mit seinem Vater. Dieser wurde als manchmal willkürlich strafend und schikanös erlebt. So habe sich der Patient bereits in frühen Jahren abgewöhnt, sich allzu offen auf etwas zu freuen, weil ihm sein Vater durch Verbote dann massiv einen Strich durch die Rechnung gemacht habe. Er habe die Verbote nicht eingesehen. Rebellion sei aber zwecklos gewesen. Schließlich habe er sich in sein Schicksal gefügt und resigniert. Erst auf diesem Verständnishintergrund wird verstehbar, dass die sachlich begründete Verschiebung eines Urlaubes auf subjektivem Bedeutungshintergrund gleichgesetzt wurde mit Willkür und Schikanierung. Massive Gefühle von Enttäuschung, Kränkung, Ärger und Wut waren den Patienten in der aktuellen beruflichen Konfliktsituation nicht bewusstseinsfähig. Sie blieben verdrängt und erfuhren eine „Wendung gegen das eigene Selbst“ in Form depressiver Symptombildung. Die tiefenpsychologischen Therapieverfahren gehen davon aus, das der Patient eine wesentliche Hilfe dadurch erfährt, dass er mit seinen abgewehrten Gefühlen wieder in Berührung kommt. Hierdurch erweitert sich das Spektrum emotionaler Reaktionsmöglichkeiten. Der Patient kann durch die größere Vielfalt ihm zur Verfügung stehender Emotionen soziale Situationen besser meistern, Konfliktspannungen besser ertragen, was beides zu einer (antidepressiven) Selbstwertsteigerung führt.
Der nächste Artikel ist von der HP des Landesverbandes Psychiatrieerfahrener Rheinland-Pfalz.
Depressionen - Gefangen in Schwermut 1. Zur Häufigkeit depressiver Erkrankungen 2. Klinisches Bild: das depressive Syndrom 3. Psychisches Beschwerdebild 4. Körperliches Beschwerdebild 5. Antriebsstörungen 6. Depressives Verhalten / depressive Persönlichkeit 7. Depressive Erkrankungen / depressive Störungen 8. Psychogene Depressionen 9. Endogene Depressionen 10. Somatogene Depressionen 11. Zur Therapie depressiver Störungen 12. Psychotherapie und Soziotherapie 13. Grundregeln zum Umgang mit Depressiven 14. Abschlußbemerkung Bedrücktheit, Traurigkeit, Lustlosigkeit und Resignation sind als Möglichkeiten menschlichen Erlebens so alt wie die Menschheit selbst. Diese Gefühle und Erlebnisweisen können zwar die Gestimmtheit eines Menschen beeinflussen, sind jedoch keine Erkrankung per se und sind auch keine Depression. Die Fähigkeit zur Trauer beim Abschiednehmen, z.B. beim Verlust eines nahestehenden Menschen, ist eine ureigene menschliche Fähigkeit und aus psychohygienischen Gründen der innerseelischen Verarbeitung eines derartigen Verlustes unerläßlich. Solche Trauer stellt sich ein beim Verlust eines geliebten Menschen, beim Verlust eines Lebenskonzeptes, beim Verlust körperlicher Integrität, beim Verlust bedeutsam gewordener Objekte. Die Depression als Krankheitsbild dagegen zeichnet sich eher aus durch die Unfähigkeit, überhaupt Gefühle wie Trauer oder Freude empfinden zu können, durch ein fehlendes Reagierenkönnen, auf Kontakte, Anregungen, Aufmunterungen von außen, durch ein Gefühl der Leere als Zeichen der inneren Erstarrtheit und durch die Erschwernis bei bzw. die Unfähigkeit zur Durchführung üblicher Lebensvollzüge. Traurigkeit oder eine depressive Verstimmung kann dabei Teil eines depressiven Syndroms sein, typischer ist jedoch diese quälende innere Gefühllosigkeit, die bereits im Wort „Depression“ als „Erdrücktsein“, als Minderung des seelischen und körperlichen Erlebens und der Fähigkeit zur Bewältigung alltäglicher Lebensvollzüge zum Ausdruck kommt. Depressive Gefühle können Teil vieler körperlicher oder psychischer Reaktionen auf somatische Erkrankungen sein, depressive Syndrome oder Episoden, wie man dies neuerdings nennt, können Teil auch einer nicht-depressiven Erkrankung, z.T. bei Angststörungen, bei Persönlichkeitsstörungen, bei der schizophrenen Psychose, bei Alkoholismus sein und stellen sinngemäß das zentrale Zustandsbild einer depressiven Erkrankung bzw. Störung, wie das heute genannt wird, dar. Zur Häufigkeit depressiver Erkrankungen Die WHO schätzt die Prävalenz für Depressionen auf 3% der Weltbevölkerung, wobei Prävalenz die Häufigkeit an einem bestimmten Stichtag meint. Nach neueren Studien erkranken während ihres Lebens (Lebenszeitrisiko für Depression) zwischen 4 bis 12% der Männer sowie zwischen 12 bis 26% der Frauen an einer diagnostizierbaren und behandlungsbedürftigen Depression. Die Punktprävalenz, d.h. die Häufigkeit einer depressiven Störung zu einem bestimmten Zeitpunkt, wird für Deutschland derzeit um 10% angegeben, d.h. daß etwa 10% der Erwachsenenbevölkerung Deutschlands an einem diagnostizierbaren und behandlungsbedürftigen depressiven Zustandsbild leiden. Sodann wird eine Zunahme depressiver Störungen in den letzten Jahrzehnten aus unterschiedlichen Gründen diskutiert: * gehobene Lebenserwartung und Zunahme des Anteils alter Menschen an der Bevölkerung, damit Zunahme der Depressionen im hohen Lebensalter, * depressive Verstimmungen bei chronisch körperlich Erkrankten (geschätzt etwa ein Drittel); * depressive Störungen im Rahmen von Suchterkrankungen, bei Angststörungen, bei Persönlichkeitsstörungen (psychische Komobidität). Auch werden depressive Erkrankungen heute häufiger erkannt als früher und die Bereitschaft depressiver Menschen, sich in Behandlung zu begeben, scheint heute auch größer zu sein. Die Bedingungen einer industrialisierten Welt und die ökonomische Entwicklung der letzten Jahre mit Streß, Konkurrenz, zunehmender chronischer Arbeitslosigkeit etc. führen zu depressiver Symptomatik wie Trübsinn, Kummer und Ärger, Gefühlen von Macht- , Hoffnungs- und Hilflosigkeit. Selbstbeschreibungen sog. melancholischer Menschen, Selbstbeschreibungen von Zuständen der Depression finden sich häufig in Literatur und Kunst. Die folgende Schilderung „Wie fühle ich mich, wenn ich depressiv bin“ stammt von stationär behandelten depressiven Patienten. Hier werden Angaben gemacht zur Gemütsverfassung, zu den Gefühlen, zum körperlichen Zustand, die eigene Leistungsfähigkeit beurteilt, die Wertigkeit in der Beziehung zur Umwelt, werden Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Zukunft gestellt: Ich fühle mich arg deprimiert, lustlos und gar nicht wohl, und ich kann gar nichts leisten; Ich fühle mich immer müde, zurückgezogen und habe große Angst vor der Zukunft; Ich fühle mich sehr oft durch die vielen seelischen Konflikte, welche mich bewegen, geistig und körperlich völlig erschöpft. Dies hat zur Folge, daß ich so oft in einem, dem Weinen nahegelegenen Zustand bin; Ich fühle mich freudlos, ängstlich und unverstanden, müde, überempfindlich, oft niedergeschlagen. Ich frage mich, ob das Leben überhaupt noch einen Sinn hat; Ich fühle mich zur Zeit sehr bedrückt und ängstlich. Ich fühle mich körperlich schrecklich, die Beine tun mir weh. Nichts macht mehr Spaß, alles ist mir zuviel, das Kochen, der Haushalt, die Kinder; Ich könnte dauernd heulen, bin mit mir selber nicht mehr zufrieden, denke immer, ich muß mehr bringen, aber schaffe es nicht: Ich habe keine Freude mehr, keinen Hunger, denke immer; ob ich das noch schaffe und: Du hast ja doch keinen Wert mehr. Klinisches Bild: das depressive Syndrom Ein depressives Zustandsbild läßt sich beschreiben anhand der Beschwerden, die Patienten schildern, und beobachtbarer Symptome. Diese ergeben zusammengefaßt „ein depressives Syndrom/depressive Episode“ bezeichnetes akutes Querschnittsbild. Hierzu gehören psychische, psychomotorische und körperliche Symptome. Psychisches Beschwerdebild Der depressiv Kranke ist in seinem gesamten Lebensgefühl herabgestimmt. Er ist unfähig zur Freude, fühlt sich niedergeschlagen, traurig, nichts macht ihm mehr Spaß, häufig herrscht ein Nichttraurigseinkönnen, ein Nichtmehrempfindenkönnen vor. Er fühlt sich innerlich versteinert, leer, im Gefühlsleben erstarrt und verstorben. Dabei ist er verzagt und mutlos, resigniert sehr schnell, nimmt alles sehr schwer, hat Angst vor Anforderungen, leidet unter Ängsten, Panikzuständen bis hin zur Lebensangst. Er kann sich nicht entscheiden, ist unfähig an seiner Situation etwas aktiv zu ändern, ist lustlos, ohne Interesse an seiner Umwelt. Aus kleinen Anlässen, oft auch ohne ersichtlichen Grund, neigt er zum Weinen, bricht in Weinkrämpfe aus oder kann in der inneren Versteinerung überhaupt nicht mehr weinen. Oft werden über Merk- und Konzentrationsstörungen geklagt, die aus der Depression kommen und keinen Hinweis auf eine hirnorganische Abbauerkrankung darstellen. Hierzu gehören auch langsames und mühevolles Denken, wie durch Nebel, Hängenbleiben an Gedanken, sich nicht lösen können von einem Problem bis zum quälenden Grübeln, zum Kreisen der Gedanken immer um die gleiche Thematik, ohne Fortkommen, Entscheidung oder Ergebnis. Die Denkinhalte, also das was Depressive denken, beziehen sich häufig auf eine so erlebte eigene Leistungsunfähigkeit, auf die Überzeugung, insuffizient, minderwertig, ein schlechter Mensch und schuldig zu sein, was zu einem reduzierten Selbstwertgefühl führt. „Wenn ich nicht mehr schaffen kann, tauge ich nichts mehr, dann ist es besser, ich tu mich weg“, meinte dazu ein depressiver Landwirt. Diese depressiven Denkinhalte können im einzelnen Fall von der Sorge über die Einengung auf ein Thema hin zur wahnhaft-depressiven unkorrigierbaren Überzeugung reichen, der schuldigste, der schlechteste Mensch zu sein, zu verarmen, sündhaft zu sein, unheilbar erkrankt zu sein. Verarmungswahn, Schuldwahn, Versündigungsideen, wahnhafte Ideen des Untergangs und der Hypochondrie sind dann als extreme Ausgestaltung depressiv krankhaften Denkens einer rationalen Argumentation nicht mehr zugänglich. Auf ernsthaftes, einfühlsames und direktes Nachfragen geben depressiv Kranke oft Suizidalität an, die von Wunsch nach Ruhe, nach einer Pause im Leben über einen Todeswunsch bis hin zu konkreten Suizidgedanken und/oder -absichten reichen können. Oftmals weisen Depressive in ihrer Vorgeschichte bereits suizidale Krisen oder Suizidversuche auf. Körperliches Beschwerdebild Depressive Kranke sind in ihrer Vitalität reduziert, sie fühlen sich energie- und schwunglos, leicht ermüdbar, sehen krankhaft aus und die Bewegungsabläufe sind kraftlos. Viele Depressive empfinden ihr Leben als ein qualvolles Sichhindurchschleppenmüssen durch ein belastetes und trostloses Leben. Oftmals werden Störungen der Leibgefühle, also der Empfindungen für den eigenen Körper angegeben, so Kopfdruck wie von einem übergestülpten Helm, Druck hinter den Augen, in der Brust wie von einem schweren Stein, Enge im Brustkorb wie von einem Reifen, der Luft abdrückt, diffuse Schmerz, Spannungs- und Schweregefühle. Nahezu obligat sind Schlafstörungen, wobei neben Einschlafstörungen vor allem der zerhackte, der verkürzte Schlaf sowie das morgendliche Früherwachen ohne das Gefühl des Erholtseins dominieren. Damit verbunden sind manchmal sog. Tagesschwankungen mit einem Darniederliegen von Antrieb und Stimmung in den frühen Morgenstunden bis in den Nachmittag hinein, mit sog. Abendlicher Aufhellung von Gestimmtheit, die bis zur Symptomfreiheit reichen kann. Appetitstörungen führen zu Gewichtsverlust, im sexuellen Bereich treten Libidoverlust, Impotenz und Erektionsstörungen beim Mann, Frigidität und Zyklusstörungsen bei der Frau auf. Antriebsstörungen Die Antriebsstörung bei der Depression äußert sich als erstes durch Apathie, Lust- und Interesselosigkeit, was bis in die Psychomotorik hinein reichen kann und dann als gehemmt-depressives oder gehemmt-ängstliches Bild sich zeigt in Form der psychomotorischen Verlangsamung mit wenig Mimik und Gestik, langsamem Bewegungsablauf, gebundener Haltung bis zur Erstarrtheit im depressiven Stupor. Die andere Seite der Antriebsstörung ist die innere Unruhe, die umschlägt in eine äußere Agitiertheit, häufig mit Angst verbunden. Depressives Verhalten / depressive Persönlichkeit In ihrer Umwelt fallen depressiv Kranke oft früher durch ihr verändertes Verhalten auf als durch ihr Beschwerdebild. Hierzu zählen Rückzugsverhalten oder sehr appelativ-klagsames Verhalten. Als Rückzugsverhalten bezeichnet man die Tendenz des Kranken, sich zunehmend aus seiner Umwelt auf sich selbst zurückzuziehen, Kontakte abzubrechen, gesellschaftliche Veranstaltungen nicht mehr aufzusuchen, nicht mehr das Gespräch mit dem Nachbar zu suchen, den Rückzug ins Haus, in die eigene Wohnung, zuletzt ins Bett, um dann nicht mehr aufzustehen und sich nicht mehr zu versorgen. Eine andere Gruppe Depressiver neigt eher zu klagsam-appelativem Verhalten, redet nur noch über seine Beschwerden, z.B. über zahllos wechselnde körperliche Symptomatik (Hypochondrie), so daß nach anfänglicher Zuwendung zu diesen Patienten diese sehr schnell auf Ablehnung der Umwelt stoßen, weil sich diese durch ständiges Klagen überfordert fühlt und die somatische Problematik des Patienten auch anders erlebt. Hinsichtlich ihrer Persönlichkeit lassen sich depressiv kranke Menschen kurzgefaßt im Sinne des Typus Melancholicus nach Tellenbach beschreiben als Menschen mit ausgeprägter Tendenz zum Überperfektionismus im Beruf und Haushalt, mit Neigung zur Selbstüberforderung, mit hohem Anspruch an sich selbst im Leistungsbereich und im ethisch-moralischen Bereich. Depressive können so z.B. eine krankheits- oder situationsbedingte Verringerung der Leistungsfähigkeit kaum verwinden was z.B. den hohen Anteil an Depressionen bei körperlichen Erkrankungen erklärt, die mit Beeinträchtigung von Arbeitsfähigkeit, Lebensqualität, Bewegungsmöglichkeit usw. einhergeht. In Eltern-, Kinder- und/oder Partnerbeziehungen fällt die Neigung zur Symbiose, zur engen und ausschließlichen Bindung auf. Depressiv Kranken ist dabei eine „tiefe existentielle Angst“ zu eigen, die Überzeugung einer existentiellen Lebensfähigkeit, welche zu sehr enger Bindung, zur Überanpassung und zur Überunterordnung (Druckfehler oder nicht- das ist hier die Frage!) an Partner, Autoritäten, Ordnungsstrukturen führt. So sind Beziehungen von Depressiven meistens gefühlsmäßig sehr eng und tief, aber höchst gefährdet, da sie nie bedroht werden dürfen. Beziehungsstörungen führen dann wie ein Verlust von Selbstwertgefühl zu Empfindungen von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, drohendem Zusammenbruch etc., wobei die Rettung aus der ohnmächtigen Situation öfters in suizidalen Handlungen gesucht wird.
Depressive Erkrankungen / depressive Störungen Wie Fieber als Symptom bei verschiedenen Krankheiten auftreten kann, kommen gleiche depressive Syndrome bei verschiedenen depressiven Krankheitsbildern vor. Dabei werden hinsichtlich der Verursachung dieser Depressionen (Ätiologie) auch heute noch drei große Erkrankungsgruppen unterschieden: * psychoreaktive Depressionen, * endogene Depressionen (affektive Psychosen, nur mit depressiven Episoden (unipolare affektive Störungen), * Depression und manische Episoden abwechselnd (manisch-depressives Kranksein, bipolare affektive Psychosen) sowie die sog. somatogenen, als körperlich bedingten depressiven Erkrankungen. Alle drei Gruppen können sich sehr stark überschneiden, z.B. die psychoreaktive Reaktion bei einer körperlichen Erkrankung mit Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems oder die reaktiv ausgelöste endogene Depression. In der modernen Klassifikation der Erkrankungen ICD-10 trennt man überhaupt nicht mehr zwischen psychoreaktiven, endogenen oder somatogenen Depressionen, sondern spricht von der „depressiven Episode“. Bei der heutigen Diagnostik von „depressiven Episoden“ fragt man also weniger nach der Verursachung, sondern eher danach: * Welche Symptome klagt der Patient, welche sind beobachtbar? * Um was für eine Persönlichkeit handelt es sich (meist selbstunsicher, zur Ängstlichkeit neigend oder überperfektionistisch, überordentlich, sehr stark leistungsorientiert)? * Gibt es im Leben und vor allem in der unmittelbaren Zeit vor Ausbruch der Depression belastende Lebensereignisse, chronisch belastende Lebensbedingungen, die nicht verarbeitet, nicht geklärt, nicht ausgeräumt werden konnten? * Gibt es abrupte Veränderungen im Leben des Patienten, die mit Verunsicherung, Verlust von Sicherheit im Leben, von Einordnung, mit psychischer Überforderung, Erschöpftheit, übermäßiger Beanspruchung usw. einhergegangen sind? Psychogene Depressionen Als psychogene Depressionen werden solche depressiven Zustandsbilder bezeichnet, die durch nachvollziehbare, mehr oder minder bewußte, akut eingetretene oder langandauernde Ereignisse oder und chronische Belastungen ausgelöst werden. Hierzu werden die reaktiven Depressionen,, die depressiven Entwicklungen unter chronischer emotionaler Dauerbelastung (z.B. chronischer Ehekonflikt, chronische Überforderung in doppelt abhängigen Positionen) sowie die neurotischen Depressionen gezählt, die aus der frühkindlichen Entwicklung des Patienten verstehbare und ableitbare Erkrankungen sind, die in einer aktuellen Auslösesituation wieder aktiviert werden (Schlüssel-Schloß-Prinzip). Endogene Depressionen Die Gruppe der sog. Endogenen Depressionen meint die bereits aus der Antike bekannte Melancholie, wobei die Bezeichnung „endogen“ auf eine vermutete Ursache im neurobiochemisch-biologisch-genetischen Bereich verweist. Sogenannte endogene Depressionen verlaufen häufig phasenhaft, d.h. sie gehen mit mehreren depressiven Erkrankungszeiten im Leben einher, häufig von der Zeitdauer von 4 bis 6 Monaten, beginnen oft in den dunklen Jahreszeiten, wobei sich die vorherige Stimungs- und Antriebslage nach Abklingen der Erkrankung ohne Veränderung der Persönlichkeit wiederherstellt. Sogenannte endogene Depressionen können auch „bipolar“ verlaufen, d.h. mit manischen und despressiven Phasen eihergehen. Bekannt ist, daß sog. endogene Depressionen auch durch Ereignisse und Belastungen auslösbar sind. Häufig handelt es sich um aktuelle psychosoziale und lebensgeschichtlich einzuordnende Belastungsfaktoren. Die neurobiochemische Forschung konnte zeigen, daß schwere Depressionen (auch schwere neurotische Depressionen u.ä.), insbesondere sog. endogene Depressionen mit Störungen der Balance des Noradrenalins und des Serotonins im neurobiochemischen Stoffwechsel des zentralen Nervensystems einhergehen, also mit Störungen der Überträgerstoffe von Nervenimpulsen, wobei nicht abschließend geklärt ist, ob es sich um die Ursache der Depression, einen Folgezustand oder ein peripheres Phänomen eines despressiven Zustandsbildes handelt. Man weiß jedoch um die günstige Beeinflussung dieser Balancestörungen durch antidepressive Medikamente (sog. Antidepressiva), welche den Stoffwechsel im zentralen Nervensystem und den Umsatz von neuronalen Botenstoffen positiv beeinflussen.
Somatogene Depressionen Die sog. somatogenen, also körperlich bedingten Depressionen sind direkte Folge einer körperlichen Erkrankung, die entweder das zentrale Nervensystem, also das Gehirn, betrifft oder die im übrigen Körper selbst liegt und den Stoffwechsel im zentralen Nervensystem beeinflußt. Hierzu gehören z.B. Depressionen im Rahmen cerebralsklerotischer Durchblutungsstörungen des Gehirns, Depressionen bei Hirntraumen oder Hirntumoren, wodurch cerebrale Dysfunktionen ausgelöst werden, oder sog. symptomatische Depressionen, bei denen diese cerebralen Störungen z.B. durch Störungen im Hormonhaushalt der endokrinen Drüsen (z.B. der Schilddrüse), nach schweren Lungenentzündungen, grippalen Infekten oder belastenden operativen Eingriffen bedingt sind. Der große Anteil von etwa bis zu einem Drittel behandlungsbedürftiger depressiver Verstimmungen bei chronischen körperlichen Erkrankungen z.B. aus dem rheumatischen Formenkreis oder bei internistisch-neurologischen Zustandsbildern, gehört überwiegend zu den psychoreaktiven Depressionen, bei denen diese durch diese Krankheit erlebte Einschränkung, Veränderung des Lebenskonzeptes, die Beziehungsstörung, das chronische Schmerzsyndrom, die erwartete schmerzhafte Lebensbeeinträchtigung und evtl. Verkürzung usw. reaktiv mit einer Depression beantwortet wird. Zur Therapie depressiver Störungen Depressives Kranksein muß heute kein unabänderliches Schicksal mehr sein. Jedes depressive Zustandsbild ist behandelbar, was jedoch nicht hundertprozentige Heilbarkeit bedeutet. Etwa 15% der schwereren depressiven Erkrankungsformen gehen in sog. chronische Depressionen über, bei denen dann der Behandlungsschwerpunkt (im übrigen wie bei allen schweren chronischen Erkrankungen) in der Unterstützung der Familie, in der Begleitung des Patienten über eine lange Wegstrecke seines Lebens, in der Langzeitbehandlung seiner Symptomatik und Störungen und in der Umorientierung des Lebens selbst liegt. Auch sog. chronisch Depressive oder therapieresistente depressiv kranke Menschen werden heute nicht mehr als Langzeitpatienten in psychiatrischen Einrichtungen behandelt und untergebracht, sondern nach stationären Behandlungsversuchen ambulant in der Gemeinde, im familiären Umfeld langzeit-betreut. Dabei können sich auch bei langzeitkranken Depressiven immer noch Besserungen einstellen. Beim größeren Teil der depressiv kranken Menschen lassen sich deutliche Symptomverbessesrungsen bis zur Symptomfreiheit, Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, z.B. im Haushalt, in der Berufstätigkeit, sowie Beziehungsfähigkeit, d.h. Lebensfähigkeit in der Familie, im jeweiligen Umfeld, erreichen. Als durchschnittliche Zeitdauer einer depressiven Episode werden heute im Mittel 4 bis 6 Monate angenommen, so daß einschließlich eines Schutzes vor Rückfall in die Depression bei einer normal verlaufenen depressiven Erkrankung etwa bis zu einem Jahr Behandlung empfohlen wird. Die heutigen Behandlungsmethoden umfassen ein weiteres Spektrum. Zur Standardtherapie bei depressiven Kranken gehören heute zum einen körperliche Behandlungsmethoden, zum anderen psychotherapeutische Ansätze. Mit der Einführung der sog. Antidepressiva Mitte der 50er Jahre wurde ein erster großer Behandlungsfortschritt erzielt. Heute können mit Antidepressiva im wesentlichen depressive Symptome behandelt werden. Ziel der Therapie sind Abbau von Angst, Besserung der Stimmungslage, Beruhigung einer inneren Getriebenheit und Unruhe, Wiedererlangung von Antrieb und Abbau von psychomotorischer Hemmung, Besserung der körperlichen Beschwerden, vor allem der Schlafstörungen, der Appetitstörungen, der Leibgefühlsstörungen. Dabei gibt es verschiedene Arten von Antidepressiva; neben klassischen trizyklischen Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Doxepin, Trimipramin, Clomipramin), den sog. tetrazyklischsen Antidepressiva (z.B. Maprotiolin, Mianserin) stehen heute die modernen, sehr viel nebenwirkungsärmeren und besser verträglichen Antidepressiva wie sog. selektiven Serotonin-Wiederauifnahmehemmer (SSRI, z.B. Paroxetin, Citalopram, Fluoxetin, Serxolin) oder andere neuere Substanzen (z.B. Moclobemid, Mirtazepin usw.) zur Verfügung. Dabei wirken Antidepressiva auf Zielsymptome und sie „lösen“ keine Probleme. Es ist nicht vertretbar, einen depressiv kranken Menschen nur medikamentös zu behandeln und seine individuelle soziale Situation, seine Beziehungssituation, seinen Lebensrahmen unbeachtet zu lassen. Zu den körperlichen Therapieansätzen gehören auch physikalische und Hydrotherapie (Kneippen, medizinische Bäder, Massagen, Krankengymnastik) sowie Sport, Sauna, Bewegungstherapie, Radfahren und ähnliche körperorientierte Aktivitäten. Jeder depressiv kranke Mensch sollte außerdem über eine ausreichende und klare Tagesstruktur verfügen, die mit Anforderung, nicht Über- aber auch nicht Unterforderung einhergeht und die auf jeden Fall tägliches Aufstehen, gewisse körperliche Aktivitäten und gemeinsames Tun mit Angehörigen beinhaltet. Psychotherapie und Soziotherapie Psychotherapie und Soziotherapie stellen zwei weitere wichtige Pfeiler einer Depressionsbehandlung dar. Bei der Psychotherapie steht heute neben der tiefenpsychologisch-analytischen Psychotherapie Verhaltenstherapie, kognitive Verhaltenstherapie, sog. Interpersonelle Psychotherapie sowie Gesprächspsychotherapie in der Anwendung. Mit „Psychotherapie“ sind in einem weiteren Sinne all diejenigen Formen des hilfreichen Umganges mit einem depressiv kranken Menschen während ambulanter oder stationärer Behandlung zu verstehen (sog. psychotherapeutisches Basisverhalten: Emphatie, Akzeptanz depressiven Erlebens und Soseins, positive Verstärkung und jeglichen nicht-depressiven Denkens und Handelns usw.) zu verstehen, in einem engeren Sinne die methodisch orientierte Psychotherapie, die zu einem besseren Verstehen der biographisch-lebensgeschichtlichen Entwicklung (z.B. biographische Arbeit in der tiefenpsychologisch-fundierten Psychotherapie), auf das aktuelle Verhalten in der konkreten Situation (Verhaltenstherapie, kognitive Verhaltenstherapie), auf Bewertungen und auf die Interaktion Depressiver mit ihrer Interpersonellen Psychotherapie abzielen. Ziel ist dabei ein besseres Verstehen der Persönlichkeit und dies eigenen Reaktionen (Entwicklung von Symptomatik und depressiven Verhaltensweisen ) in bestimmten Belastungssituationen, Korrektur depressiven Denkens, Realitätsüberprüfung depressiven Denkens, Verbesserung der Interaktionen wie Beziehungs- und Arbeitsfeld.
Grundregeln zum Umgang mit Depressiven Auf der Basis tiefenpsychologischen und lerntheoretischen sowie klientenzentrierten Verständnisses von Psychotherapie lassen sich nachfolgende allgemeine Grundregeln zum „hilfreichen Umgang mit Depressiven“ aufstellen: 1. Im Zentrum therapeutischer Beziehung steht das Gespräch, welches stützend und hilfreich sein soll. Dazu ist ein regelmäßiges und zuverlässiges Gesprächsangebot von ausreichender Dauer notwendig. Das Gespräch soll gekennzeichnet sein durch emotionale Wärme und akzeptierende Wertschätzung es anderen, durch ein bedingungsfreies aktives Zuhören und Nachfragen, durch beruhigende Versicherung, daß Hilfe möglich ist, durch die Vermittlung von Hoffnung und gezielte Entlastung. Suizidalität muß aktiv offen und ernstnehmend angesprochen werden, wobei der Therapeut selbst ein Stück lebensbejahener Präsenz darstellt. Die Lebenskontinuität und diese tragende Beziehung zu der Familie, zu Partnern und auch zum Therapeuten sollen betont werden. Im Gespräch soll ein Wechsel von der Symptomebene zur Lebenssituation stattfinden, wobei auf der Basis einer guten Beziehung eine Überprüfung der Realität des Patienten bzw. seines depressiven Erlebens, eine Anregung zur Aktivität und zur Eigenverantwortung, eine Strukturierung des Tagesablaufes ( es soll die Erfahrung des „doch-könnens“ gemacht werden) mit nachfolgender positivr Verstärkung geschehen soll. 2. Die Einbeziehung von Angehörigen entweder auf der informativen Ebene, aber auch in Angehörigengruppen für depressiv kranke Menschen, ist heute nahezu obligat und für die langfristige Begleitung und Therapie bei depressiv kranken Menschen unabdingbar. Neuerdings entwickeln sich auch Selbsthilfegruppen für Depressive wobei hier unterschiedliche Erfahrungen angegeben werden. Es scheint jedoch, daß auch für schwer depressive kranke Menschen „Selbsthilfegruppen“ sich im Sinne der gegenseitigen Stützung, der Vermittlung gegenseitigen Verständnisses und als Möglichkeit eines Schonraumes, eines Raumes von Verständnis für das eigene depressive Sosein, hilfreich sind. 3. Kriterien für eine stationäre Einweisung sind Schwere und Akutität des depressiven Zustandsbildes, akut und ambulant nicht mehr Suizidialität, wahnhafte Symptomatik, dann aber auch der drängende Wunsch des Patienten selbst, soziale Faktoren wie Isolation, Vereinsamung, chronischer bzw. therapieresistenter Verlauf, ungünstige soziale Lebensbedingungen. Gerade beim chronischen Verlauf und bei Therapieresistenz ist die Einbeziehung von Angehörigen dringend erforderlich, da es sich hier zum einen nicht nur um Unterstützung des Patienten, sondern auch um Unterstützung des Partners und der Familie, um gemeinsame Planung der veränderten Lebenssituation handelt. 4. Der ambulante therapeutische Rahmen muß gekennzeichnet sein durch regelmäßige, möglichst engmaschige Kontakte, durch Einbeziehung von Partner, Familie, dann im sozialen Feld, Einbeziehung von Arbeitgebern (Berentung, stufenweise Wiedereingliederung, Entlastung?), wobei auch Institutionen und Hilfen des weiteren psychosozialen Umfeldes wie Telefonseelsorge, Beratungsstellen, Sozialpsychiatrische Dienste, Diakonie/Sozialstationen, Tagesstätten, Clubs, Selbsthilfegruppen etc. zur Stützung des Patienten, zur Entwicklung neuer und aktiver Lebensgestaltung, zur Gewinnung neuer Kontakte und auch zur Ergänzung des ärztlich-psychiatrisch-psychotherapeutischen Angebotes bewußt miteinbezogen werden sollen. Abschlußbemerkung Depressives Kranksein bedeutet heute nicht mehr ausgeliefert sein an eine Erkrankung mit einer hohen Suizidmordalität und Selbstgefährdung. Sowohl den Betroffenen als auch für dessen Partner und Familie stehen eine Reihe von hilfreichen psychiatrisch-psychothrapeutischen und psychosozialen Möglichkeiten zur Verfügung, die angeboten, genutzt und in Anspruch genommen werden müssen. Dabei handelt es sich sei der Behandlung einer Depression häufig um längerfristige Behandlungsansätze, die Patient, Partnerschaft und Umfeld, Arbeitssituation, Lebens- und Wohnsituation miteinbeziehen.
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