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Von Michael Ludwig, Moskau
Russlands neuer Präsident, Dmitrij Medwedjew, und der alte, Wladimir Putin, wollen im Tandem das Land regieren. Beide haben die Doppelherrschaft mit der Notwendigkeit begründet, Putins Konsolidierungs- und Stabilisierungspolitik fortzuführen. Aber es gibt darüber hinaus pragmatische Gründe der Machtpolitik, es zumindest eine Zeitlang miteinander zu versuchen – Medwedjew als Präsident mit Putin als Regierungschef. Wie sich die Aufgabenteilung gestalten und wie lange die Kohabitation dauern wird, ist nicht vorhersehbar.
Der scheidende russische Präsident Putin hatte es spannend gemacht, dem Volk zu sagen, wie er sich die Zukunft vorstellt. Erst im Herbst rückte er damit heraus, dass er auch nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt – ein drittes Mal durfte er laut Verfassung nicht kandidieren, und das Grundgesetz wollte er nicht ändern lassen – eine wichtige Rolle in Russlands Politik beanspruche. Dann erklärte er sich bereit, in der Dumawahl im Dezember die Liste der Kremlpartei Einiges Russland anzuführen, und als der Sieg nach Hause gebracht war, schlug Putin Medwedjew als Kandidaten für die Präsidentschaft vor. Medwedjew antwortete mit der öffentlichen Bitte an seinen Mentor, Putin solle Ministerpräsident werden, um dabei zu helfen, als Regierungschef den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen. Einiges Russland beeilte sich, dem Wink von oben zu folgen, und kürte Medwedjew auf einem Wahlparteitag im Dezember zum Präsidentschaftskandidaten. Die Nachfolgefrage war entschieden. Da Putin seine Popularität und seine Machtmittel zugunsten Medwedjews einsetzte, war damit auch die Präsidentenwahl schon vor der Wahl entschieden.
Der Kreml war bereit, alle Register zu ziehen
Die Begleitumstände der langfristig angelegten „Aktion Nachfolger“ zeigten, dass der Kreml entschlossen war, alle Register zu ziehen. Jugendorganisationen des Kremls und von Einiges Russland, die „Unsrigen“ (Naschi) oder die „Junge Garde“, machten schon lange vor der Parlamentswahl Stimmung – für Putin, der allein in der Lage sei, dem aggressiven Westen zu widerstehen. Es war sozusagen die innenpolitische Ergänzung der Putinschen Konfrontationspolitik auf der innenpolitischen Bühne. Vor der Dumawahl wurde eine regelrechte Hysterie entfacht. Die Konfrontationspolitik des Kremls hatte vor einem Jahr auf der Sicherheitskonferenz in München mit heftigen Angriffen Putins einen ersten Höhepunkt. Mit dem Ausstieg Russlands aus dem KSE-Abrüstungsvertrag, der im Sommer angekündigt und im Dezember vollzogen wurde, folgte ein zweites Kapitel. Im Herbst kam zu den Jugendbewegungen eine neue Bewegung aus der Retorte hinzu: die Bewegung zur Unterstützung Putins, der flugs zum „nationalen Führer“ erhoben wurde. Die personellen Querverbindungen vor allem zwischen dem Einigen Russland und der neuen Bewegung ließen sich nicht lange verheimlichen, so dass klar wurde, dass es sich auch bei dieser Putinistenbewegung um einen Einfall der Regisseure im Kreml handelte. Das Ziel, zu einem möglichst hohen Sieg in der Dumawahl beizutragen, wurde erreicht.
Russlands orthodoxe Kirche teilt die Skepsis gegen den Westen mit dem Kreml. Das hängt auch mit den Spannungen zwischen russischen Orthodoxen und katholischer Weltkirche zusammen. Das Verhältnis zwischen Putin, der seine Verbundenheit mit dem orthodoxen Glauben sehr oft in der Öffentlichkeit demonstriert, und dem Oberhaupt der Kirche, Alexii II., wird als eng beschrieben. Dass die Kirche eine starke Präsidentenmacht befürwortet, die unter Putin die Orthodoxie zu einem wichtigen Bestandteil der Staatsideologie aufgewertet hat, ist bekannt. Am orthodoxen Weihnachtsfest im Januar, mithin lange vor der Präsidentenwahl, wünschte Alexii dem zum Nachfolger Erkorenen Glück und gab ihm vor den Fernsehkameras seinen Segen für die kommenden Aufgaben. Das hatte es so in der Geschichte Russlands nach dem Zerfall der Sowjetunion noch nicht gegeben.
Querverbindungen zwischen Kirche und „Unsrigen“
Auch Querverbindungen zwischen kirchlichen Einrichtungen und den „Unsrigen“ kamen zum Vorschein, als bekannt wurde, dass die „Naschisten“ das Waldgebiet, in dem sie alljährlich ein Sommerlager zur ideologischen Ertüchtigung abhielten, von einem nahen Kloster zur kostenfreien Nutzung erhielten. Mönchspriester Tichon – er gilt bei manchen als geistlicher Berater Putins – präsentierte der Staatsführung ein Geschenk der besonderen Art, den Dokumentarfilm „Untergang des Imperiums – die Lektion von Byzanz“. Tichon erwies sich dabei als meisterhafter Propagandist, der es verstand, die komplexe Geschichte des Untergangs von Konstantinopel vor gut fünfhundert Jahren dazu zu benutzen, den Westen als eine zersetzende und gewissenlose Kraft darzustellen. Auch die Frage wurde angeschnitten, wie wichtig es sei, die Nachfolge gut und richtig zu regeln. Auch dem Dümmsten wurde klar, dass es Tichon eigentlich um Russland ging. Das Staatsfernsehen zeigte den Film gleich zweimal. In der Presse bekannte Tichon, dass er ein Befürworter der Stabilisierung Russlands nach dem Chaos sei und dass Russland nur als Imperium bestehen könne. Mehr konnte sich Putin kaum wünschen.
Putin hat in seinen beiden Amtszeiten als Präsident den Geheimdienst gestärkt. Der Inlandsgeheimdienst FSB galt als wichtigstes Element der sogenannten Machtvertikale des Präsidenten. Putin selbst stammt aus dem Geheimdienst und hat die Geheimdienstleute als eine Art Prätorianergarde der neuen demokratischen Ordnung bezeichnet. Die Demokraten erinnerten derweil an die personellen Kontinuitäten zwischen FSB und sowjetischem Geheimdienst KGB. Unter Putin wurde die Stärke des FSB schon vor Jahren mindestens verdreifacht auf schätzungsweise 75.000 Mitarbeiter. Dem Dienst wurden die 200.000 Mann starken Grenztruppen und die mehr als 50.000 Mitarbeiter des Fernmeldedienstes Fapsi eingegliedert. Überdies schuf Putin eine ganze Reihe neuer Geheimdienste. Geheimdienstleute sind im Kreml, in der Präsidialverwaltung, in der Regierung und in den Provinzregierungen der Gouverneure sowie in wichtigen Staatsunternehmen wie Gasprom, aber auch in Privatunternehmen an der Spitze präsent. Igor Setschin beispielsweise, ein Weggefährte Putins aus Sankt Petersburger Tagen und stellvertretender Chef der Präsidentenverwaltung, kommt selbst aus dem Geheimdienst und kontrollierte dann die Dienste für Putin zusammen mit Wiktor Iwanow, der ebenfalls eine wichtige Rolle in der Präsidialverwaltung spielte. Setschin, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, soll seinerzeit die Aktion gegen Michail Chodorkowskij und dessen Ölkonzern Yukos geplant und durchgesetzt haben. Chodorkowskij war vor fünf Jahren verhaftet, später angeklagt und zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Der Konzern wurde vor drei Jahren zwangsweise rückverstaatlicht, und Rosneft kam in die Lage, sich die wichtigsten Bestandteile von Yukos einzuverleiben.
Konflikte zwischen den Geheimdiensten
Sämtliche Geheimdienste sind zwar auf den Präsidenten ausgerichtet. Aber im vorigen Jahr ist es selbst Putin dem Vernehmen nach nicht gelungen, seinen Vertrauten Wiktor Tscherkessow, den Chef der Drogenpolizei, an die Spitze des FSB zu bringen und Amtsinhaber Nikolaj Patruschew, einen Bundesgenossen Setschins, abzulösen. Zwischen Rauschgiftpolizei und FSB kam es sogar zum offenen Konflikt, der fast mit der Waffe ausgetragen worden wäre; Tscherkessows Stellvertreter sitzt in Haft. Er soll die wirtschaftlichen Kreise des FSB gestört haben. Das zeigt, dass Putin nicht immer unumschränkter Herr in allen Situation ist.
Von Setschin heißt es zudem, dass er Medwedjew als Nachfolger habe verhindern wollen. Der 42 Jahre alte Medwedjew, der offenbar keine Geheimdienstvergangenheit besitzt, sich zudem vorsichtig als Liberaler zu profilieren suchte und damit Widerstand auslöste, dürfte es demnach schwer haben, die Dienste und deren Seilschaften zu kontrollieren. Vor allem ist fraglich, wie Medwedjew seine Ankündigung, der Zivilgesellschaft mehr Raum zu geben – sofern sie denn ernst gemeint ist –, wahrmachen will, wenn die Dienste tatsächlich gegen ihn stehen. Die mächtigen Geheimdienste, die Putin in zwei Amtszeiten wieder stark gemacht hat, machen Putin daher aus Sicht zumindest eines Teils der gegenwärtig Herrschenden als Kontrolleur weiterhin unentbehrlich, jedenfalls auf eine gewisse Zeit. Kritiker haben immer wieder gesagt, dass das von Putin geschaffene System ohne Putin zusammenfällt.